Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
diesen Umständen keiner bereit sein wird, in den Berg zu gehen. Wir haben die Schlacht verloren. Wir müssen uns das eingestehen.“
Datum und Uhrzeit unbekannt; Sulaiman Coal Mine
Sie hatten sich darauf geeinigt, die Akkus der Scheinwerfer zu schonen. So saßen sie im sterbenden Geflacker der Neonleuchte, Botschafterin einer zerstörten Welt. Igor nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche, reichte sie Sander. Der Russe seufzte, als müsse er sich eine gewaltige Last aufbürden. „Nun gut, fange ich halt vorne an. Du willst es ja so.“
Sander ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß er seine Meinung nicht geändert hatte. Nach der zermürbenden Folter an Körper, Geist und Seele war da plötzlich ein Mensch, ein Wesen aus Fleisch und Blut, inmitten dieser steinernen Feindseligkeit – da wollte er alles über ihn wissen!
Igor rang sichtlich damit, den Einstieg zu finden. „Es begann in Moskau. Ich war dort im Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen Abteilungsdirektor. Ende der 90er Jahre wurde ich nach West-Sibirien delegiert, um dort südöstlich von Nowokusnezk ein Endlager für waffenfähiges Plutonium zu organisieren, ferner den Bau einer Entsorgungsanlage vorzubereiten, in der radioaktive Rückstände für militärische Zwecke unbrauchbar und zugleich endlagerungsfähig beziehungsweise industriell nutzbar gemacht werden sollten. Was einigermaßen klappte, war die Anlieferung und Zwischenlagerung des Plutoniums, später auch abgebrannter Brennelemente aus Atomkraftwerken, doch der Bau der Entsorgungsanlage kam nicht von der Stelle. Hierüber gingen Jahre ins Land. Sie ist heute noch nicht einsatzbereit.“
Igor verlangte nach der Flasche. Zufrieden mit der zeitraffenden Eröffnung seines Vortrages fuhr er fort: „Wir hatten ein 2.600 Hektar großes, nur mangelhaft gesichertes Areal inmitten einer Waldregion; Birken, wohin Du schautest, unübersichtlich, schwer zu bewachen, das Plutonium – in blei- und zirkonoxydausgekleideten Stahlzylindern – provisorisch in Erdbunkern zwischengelagert. Dieses Frühjahr entdeckte ich zufällig – wir gingen in unserem Areal abseits der Bunker hin und wieder auf Jagd – frische Lkw-Spuren, die dort nicht hingehörten. Ich beauftragte meinen Assistenten, den Bestand an Stahlbehältern zu prüfen. Dieser stellte sehr schnell einen Fehlbestand fest. Abends sprach er in der Sauna darüber. Am nächsten Morgen fand man ihn mit eingeschlagenem Schädel im Erfrischungsbecken.“
Der Russe legte eine Pause ein, als wollte er die Wirkung seiner Worte abwarten. „Ich flog nach Moskau und berichtete im Ministerium über den Diebstahl waffenfähigen Plutoniums. Ich wies drauf hin, daß die hinter dem Diebstahl stehenden kriminellen Strukturen bis in das Personal des Plutoniumlagers hineinreichen müßten, demzufolge ein staatsgefährdendes Sicherheitsrisiko bestünde. Ich wurde von Abteilung zu Abteilung gereicht, niemand fühlte sich zuständig. Als die hierarchische Stellung meiner Gesprächspartner im gleichen Maße abnahm, wie ihre Kompetenz, bestand ich auf einem Gespräch mit dem Vizeminister. Andernfalls würde ich die internationalen Medien einschalten. Das war ein gravierender Fehler – wie sich später herausstellte, nicht mein letzter.“
Wieder legte er eine Pause ein, vermutlich, um seine Gedanken zu ordnen. Sander war erstaunt über die Präzision seiner Formulierungen, die mit wenigen Worten nicht nur Fakten vermittelte, sondern auch das Atmosphärische fühlbar werden ließ. Der Russe fing an, ihn zu faszinieren. „Erzähl weiter!“
„Der Vizeminister gab mir unmißverständlich zu verstehen, daß die Einschaltung der Medien der Interessenlage Rußlands zuwider liefe und unter Ausschöpfung aller gesetzlichen Möglichkeiten geahndet würde. Sollte der Diebstahl waffenfähigen Plutoniums publik werden, wäre dies gleichzusetzen mit der nachhaltigen Schädigung des internationalen Ansehens Rußlands. Rußland würde in diesem Falle nicht tragendes Element der sich abzeichnenden transatlantischen Sicherheitsarchitektur, sondern zu deren Problem. Er gab mir die Anweisung, mich auf meinen Job zu konzentrieren und alles andere dem Staat zu überlassen. Sollte ich dieser Anweisung nicht Folge leisten, hätte dies für mich unangenehme Konsequenzen. Zwar sei der Schutz der Familie in Rußland ein hohes Gut, aber er könne aufgrund der von mir in diesem Falle ausgelösten Interessenkonflikte nicht für deren Sicherheit
Weitere Kostenlose Bücher