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Das Schapdetten-Virus

Das Schapdetten-Virus

Titel: Das Schapdetten-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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verwendet werden, war ein Schock. Und dann hat sich ihre Einstellung auf andere Lebensbereiche übertragen. Sie konnte nicht mehr ertragen, dass wir Fleisch aßen. Kannibalismus nannte sie das. Sobald Fleisch auf dem Tisch stand, ist sie aufgesprungen und mit ihrer Rohkost nach oben verschwunden. Ich habe mich bemüht, ihr entgegenzukommen, immer weniger Fleisch gekocht, damit wir wenigstens am Tisch zusammensitzen konnten.« Die Holtgreve seufzte. »Franka ist neunzehn, ein schwieriges Alter, in dem man als Mutter kaum zu seiner Tochter durchdringt.«
    »Geht sie noch zur Schule?«, fragte ich.
    »Nein. Sie hat im Frühjahr Abitur gemacht und will im Herbst anfangen zu studieren. Sie hat hier und da gejobt, im Supermarkt, bei einer Metallfabrik. Aber meistens gab es Streit mit ihren Chefs. Im Supermarkt hat sie sich geweigert, Wurst auszupacken.«
    »Hat sie einen festen Freund?«, erkundigte sich Sigi.
    »Ich weiß es nicht.« Die große Frau lächelte bitter, als sie unsere erstaunten Blicke sah. »Sie hatte mal einen, er war in ihrer Jahrgangsstufe auf dem Gymnasium. Ein netter Kerl, ich mochte ihn gern. Er wollte nicht auf Hamburger und Bratwürste verzichten, da hat sie mit ihm Schluss gemacht.«
    Ich beschrieb den Motorradfahrer.
    »Nein, den kenn ich nicht.«
    »Und was ist mit Freundinnen?«
    »Ich habe ihre beiden besten Freundinnen angerufen, gleich an dem Morgen nach ihrem Verschwinden. Sie sagen beide, dass sie seit Wochen nichts mehr von Franka gehört haben.«
    Sigi und ich sahen uns an. Die Informationen waren weniger als dürftig. Franka schien ihren Ausstieg aus der fleischessenden Gesellschaft gut geplant zu haben.
    Ich fragte Frau Holtgreve, ob wir Frankas Zimmer durchsuchen dürften. Vielleicht würden wir dort einen Hinweis finden.
    Das Zimmer war klein und erstaunlich gut aufgeräumt, ein Jungmädchenzimmer mit hellen Möbeln und bunten Bezügen. Vermutlich hatte es sich in den letzten Jahren kaum verändert, während seine Bewohnerin von einem Leben jenseits der Familie träumte. Über dem Bett hing ein Comicposter, ein fettes, rosiges Schwein, das mit seinem breiten Hintern einen Bauern plattdrückte und in einer Sprechblase dachte: »Ich scheiß auf dich.«
    »Das hier lag auf ihrem Schreibtisch«, sagte Frau Holtgreve. Sie reichte uns ein Blatt Papier.
    Die Filzstiftschrift kam mir bekannt vor : Liebe Mama, mach dir bitte keine Sorgen! Mir geht es gut. Und lass die Bullen aus dem Spiel! Wenn sie nach mir suchen, kriegt Papa Ärger.
    Sigi und ich suchten im Schreibtisch, in diversen Umhängetaschen aus Plastik und Leinen, in Jacken, Mänteln und Hosen nach dem berühmten Notizbuch mit Namen und Telefonnummern. Wir fanden keins. Im Bücherregal stand eine Reihe von Büchern, die sich mit Tierrechten, Tierbefreiung, zehn oder zwanzig Gründen, das Fleischessen aufzugeben, vegetarischen Rezepten, Massentierhaltung und Forschungstieren beschäftigten. Und das war’s auch schon.
    Durch die offensichtlich dünne Wand drang ein heiseres Husten. Wir schauten Frau Holtgreve fragend an.
    »Das ist Yvonne, meine jüngere Tochter.«
    Ich senkte meine Stimme: »Welches Verhältnis hat sie zu Franka?«
    »Ein normales, würde ich sagen. Yvonne ist zwei Jahre jünger, sie hat ganz andere Interessen. Obwohl Franka sie in einem Punkt beeinflusst hat, Yvonne ist ebenfalls Vegetarierin geworden.«
    »Könnte Franka sie in ihre Pläne eingeweiht haben?«
    »Nein. Yvonne würde sich mir anvertrauen, da bin ich ganz sicher.«
    »Dürfen wir mit ihr sprechen?«, bat Sigi.
    Die Holtgreve schüttelte den Kopf. »Sie hat eine schwere Erkältung und konnte heute nicht zur Schule. Ich möchte nicht, dass sie beunruhigt wird.«
    »Nur kurz«, bettelte meine Chefin.
    »Na gut, wenn es denn unbedingt sein muss.«
    Eine spitze weiße Nase ragte aus einem schmalen Gesicht, der Rest des Körpers war von einer Bettdecke verhüllt. Es roch nach Erkältungstee und schleimlösender Creme, ansonsten glich das Zimmer in seinen Ausmaßen und der Einrichtung dem nebenan gelegenen.
    »Hallo, Yvonne«, sagte Sigi, »wir sind die Detektive, die für deinen Vater arbeiten.«
    »Ich hab davon gehört.« Ihre Stimme kratzte wie eine verstimmte Gitarre.
    »Wir wollen Franka finden und haben keine Ahnung, wer ihre neuen Freunde sind und wo sie sich mit ihnen getroffen hat. Kannst du uns da weiterhelfen?«
    Ihr Lachen ging in ein Husten über. »Glaubt ihr, Franka ist so blöd, mir alle facts auf die Nase zu binden? Die ist echt hart drauf.

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