Das Schattenbuch
stammelte: »Ich…
wir… ich weiß auch nicht…«
»Wir gehen jetzt, aber es kann sein, dass wir uns noch
einmal mit Ihnen in Verbindung setzen müssen«, sagte
Arved und drehte sich um. Er zuckte zusammen.
Knapp hinter Lioba, die ihn aufmerksam anschaute, stand
jemand. Sie schien ihn noch nicht bemerkt zu haben. Als sie
Arveds Blick sah, stutzte sie. »Was…?« Er
deutete stumm mit dem Kopf in ihre Richtung. Sie drehte sich
rasch um.
»Wie sind Sie hereingekommen?«, fragte die
Sekretärin, die den Eindringling nun ebenfalls bemerkt
hatte.
Der Mann zuckte die Achseln. »Entschuldigung«,
murmelte er. »Dachte, es wär noch auf.«
Arved und Lioba gingen an ihm vorbei. Er roch nach Bier. Die
Sekretärin drückte ihn angewidert aus dem Büro und
schloss ab.
Als Arved und Lioba wieder im Sonnenschein auf der
Straße standen, kam der Mann auf sie zu. »Hab
gehört, dass Sie den Thomas suchen.«
»Kannten Sie Carnacki?«, fragte Arved rasch und
musterte den Mann von oben bis unten, wie er und Lioba vorhin
gemustert worden waren. Er erinnerte Arved an Vampyr, den
Künstler: zum Pferdeschwanz zurückgebundene Haare,
grauer Bart, aber keine Brille. Auch die Augen des Mannes waren
grau, milchig, beinahe als sei er blind, doch das war er
eindeutig nicht.
»Thomas war ein verrückter Kerl. Völlig
unberechenbar. Hab mit ihm im selben Haus gelebt, ’ne ganze
Weile lang. Und dann seh ich ihn eines Tages in so ’nem
piekfeinen Auto sitzen. Er winkt mir zu, und das ist das Letzte,
was ich von ihm seh.«
»Wann war das?«, fragte Lioba.
»Vor ’n paar Monaten. Hab ihn nicht wiedergesehn.
Aber das Kennzeichen geht mir nicht aus dem Sinn. Könnt doch
sein, dass der Kerl dem Thomas was getan hat. War schon bei der
Polizei, aber die haben mich wieder fortgeschickt. Keine
Anhaltspunkte und so. Aber wenn Sie Richter oder so was sind,
könnten Sie doch mal nachforschen. Das Kennzeichen war TR-AU
13. Komisch, was?«
»Wieso komisch?«, fragte Arved. Etwas hatte die
Sonne verdunkelt. Es war kalt geworden, von einer Sekunde auf die
andere. Ein Vogel flog aus einer der Platanen am
Nikolaus-Koch-Platz. Er sah aus wie eine Fledermaus.
»Na, Zahlenmagie. Ich rechne jede Zahl aus, könnte
sich ja ’ne Botschaft dahinter verstecken.«
»Bitte erklären Sie das näher«, bat
Arved den seltsamen, ungepflegten Mann. Der Verkehr um sie herum
wurde plötzlich leiser.
»Der Zahlenwert von M ist 13. Zählen Sie mal nach.
Und wenn man das M statt der Zahl einsetzt, ergibt sich:
Traum.«
Arved sah Lioba an. Hinter ihr entstand ein Tumult. Ein
kleines Kind ließ sich auf den Boden fallen. Die Mutter
zerrte es hoch und ohrfeigte es, stopfte das kleine Mädchen
dann in den Kinderwagen und schob ihn rasch davon.
Als Arved und Lioba sich wieder zu dem Mann umdrehten, war er
verschwunden.
9. Kapitel
Lioba Heiligmann saß inmitten ihrer Bücher und
ihrer neu erworbenen Radierungen und Kupferstiche und wusste
weder ein noch aus. Ihre Freude über die wertvollen Bilder
war verflogen. Sie hatte sich noch nicht einmal die Mühe
gemacht, sie dem einen oder anderen ihrer Kollegen anzubieten.
Ihr Anblick ekelte sie; sie waren mit dunklen Enthüllungen
und seltsamen Ereignissen verbunden, die ihr mühsam in den
Griff bekommenes Leben zu sprengen drohten.
Auch ein Glas Trittenheimer Altärchen machte die Sache
nicht besser, nicht einmal im Zusammenspiel mit einer Havanna,
von denen sie sich nur bei ganz besonderen Anlässen eine
gönnte. Lioba schaute auf die alten Bücher in den
Vitrinen ihres Wohnzimmers. Ware, die gierige Menschen
glücklich machte. Ware, die manchmal gefährlich war.
Als sie begonnen hatte, alte Okkulta zu verkaufen, war es ihr
darauf angekommen, die Bücher in die richtigen Hände zu
geben, doch inzwischen war ihr egal, was die Käufer damit
machten. Sollten sie doch ihre schwarzen Messen feiern und
Dämonen beschwören! Solange das Geld floss – zu
Liobas und der Borromäerinnen Wohl –, war es ihr
gleichgültig. Alles war gleichgültig. Sie leerte das
Glas mit einem tiefen Schluck. Verflucht sei das
Schattenbuch!
Verflucht seien Manfred Schult und seine bösen
Andeutungen zu Liobas früherem Leben!
Was Arved nun bloß von ihr denken mochte…
TRAUM. TR-AU 13. Ein weiterer Hinweis, ein weiteres
Schnipselchen auf der Jagd nach… wonach eigentlich? War
die Jagd nicht schon zum Selbstzweck geworden? Ging es
tatsächlich noch darum, den Autor
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