Das Schattenbuch
der sich inzwischen gegen den
Wohnzimmerschrank gelehnt hatte. Der süßlich-strenge
Geruch nach Ungewaschenem und Verdorbenem stieg Arved immer
aufdringlicher in die Nase. Ihm wurde übel. Und jedes Wort,
das in diesem schrecklichen Raum fiel, machte die Übelkeit
nur noch stärker.
»Wenn ich gewusst hätte, dass du hier lebst,
wäre ich schreiend weggelaufen«, giftete Lioba.
»Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Wo ist das Haus,
der Garten, das Auto? Du warst schließlich Beamter, genau
wie ich.«
»Das geht dich gar nichts an. Es reicht, wenn du
weißt, dass du es bist, die mich in dieses Elend
gestürzt hat. Nachdem du dich an meinem Unglück
geweidet hast, kannst du jetzt gehen. Und nimm deinen
verhinderten Gigolo mit. Ich krieg das Kotzen, wenn ich ihn
sehe.«
»Tu dir keinen Zwang an, schließlich sieht deine
Wohnung so aus, als ob du regelmäßig das Kotzen
bekommst.«
Manfred Schult wurde rot im Gesicht – rot vor Wut. Er
machte einen Schritt in den Raum hinein, und Arved fürchtete
bereits, er wolle Lioba schlagen.
»Wie lange wohnen Sie schon hier?«, schaltete sich
Arved ein.
Schult blieb stehen und starrte Arved an. »Ach, der kann
sogar einen zusammenhängenden Satz sprechen? So sieht er gar
nicht aus«, meinte er.
»Du hast gehört, was er gefragt hat«, sagte
Lioba kalt und holte sich einen Zigarillo aus ihrer Handtasche.
Der Duft des Tabaks überlagerte bald den Gestank im
Raum.
»Das geht euch gar nichts an!«, rief Schult.
»Bitte bleib ganz ruhig. Spiel dich nicht so auf«,
versuchte Lioba ihn zu beruhigen und amtete langsam den Rauch
aus, sodass ihr Kopf bald in eine dünne, schützende
Wolke gehüllt war. »Es geht uns nicht um dich, sondern
um denjenigen, der vorher in dieser Wohnung gewohnt hat. Hast du
ihn kennen gelernt?«
Schult sah sie misstrauisch an. »Wieso sollte ich ihn
kennen?«
Arved versuchte, die Lage zu erklären. »Wir suchen
nach einem Künstler, einem Schriftsteller, der angeblich vor
mehr als zwanzig Jahren in dieser Wohnung
gelebt…«
Manfred Schult brach in schallendes Gelächter aus.
»Vor zwanzig Jahren? Was ist mit dir los, Lioba? Jagst du
jetzt Geister der Vergangenheit? Vor zwanzig Jahren! Da haben wir
uns ja noch gar nicht gekannt! Da hatte ich die dunkelste Zeit
meines Lebens noch vor mir.« Zu Arved gewandt sagte er:
»Damals war ich ein hoffnungsfroher Lehrer, dem die Arbeit
viel Spaß gemacht hat. Damals wollte ich Karriere machen.
Das habe ich auch getan. Ich bin irgendwann in die Schulaufsicht
gewechselt. Und dann bin ich Lioba begegnet.
Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, dann halten Sie
sich von ihr fern. Sie verbrennt jeden, den sie
berührt.«
»Es reicht, Manfred!« Lioba war aufgesprungen und
stand nun ihm gegenüber. Für einen Augenblick hatte
Arved den Eindruck, als wolle sie ihn ohrfeigen. Die beiden
belauerten sich – reglos, mit starren Blicken, in denen
Hass und Unverständnis lagen. Alles schien stillzustehen
– Zeit, Bewegung, Gedanken. Doch schließlich brach
Manfred den Bann.
»Ich wohne erst seit ein paar Monaten hier. Keine
Ahnung, wer vorher in dieser Wohnung gelebt hat. Es interessiert
mich auch nicht.«
»Hast du jemals etwas von einem gewissen Thomas Carnacki
gehört?«, fragte Lioba, während sie einen Schritt
zurückging und einen weiteren gierigen Zug an ihrem
Zigarillo tat.
Schult schüttelte den Kopf. »War kein Schild an der
Klingel – wie jetzt. Das hier ist die Wohnung der
Namenlosen in der Straße der Verdammnis.«
Plötzlich tat er Arved Leid. Was war mit diesem Mann
geschehen? Er warf einen raschen Seitenblick auf Lioba. Sie sah
ihren Ex-Mann an, als sei er eine widerliche, aber
ungefährliche Spinne. »Waren noch Möbel hier, als
du die Wohnung gemietet hast – irgendetwas, das auf den
Vorbesitzer hingedeutet hat?«, fragte sie mit kalter,
geschäftsmäßiger Stimme.
»Warum seid ihr hinter diesem Carnacki her?«,
wollte Schult wissen. »Ist da etwa ein großes
Geschäft für dich drin, Lioba? Du machst dein Geld doch
jetzt mit alten Büchern, oder?«
»Woher weißt du das?«, fragte Lioba
zurück. Eine Spur Unsicherheit war in ihre Stimme
gekrochen.
»Ich war dir zwar gleichgültig, aber du mir nicht.
Keine Angst, inzwischen hat sich das geändert. Aber man kann
es halt nicht vermeiden, hier und da dies und das zu hören.
Es freut mich, dass du dein Auskommen hast.«
»Was man von dir wohl nicht behaupten kann. Hast du
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