Das Schattenbuch
in
der Schulbehörde goldene Löffel gestohlen? Oder bist du
einem allzu jungen Ding an die Wäsche gegangen?«
»Raus!!«
Alles ging so schnell. Schult holte aus, Arved fiel ihm in den
Arm, drückte Lioba weg, rief ihr zu: »Laufen
Sie!« Tatsächlich gehorchte Lioba; sie ergriff ihre
Handtasche, wich einige Schritte zurück, Schult riss sich
von Arved los, schlug auf ihn ein, über Arveds linkem Auge
explodierte etwas, er sah Sterne, Blitze, Feuchtes tropfte ihm
ins Auge, brannte. Er lief hinter Lioba her. Schult verfolgte sie
nicht. Er blieb im Wohnzimmer stehen, als begreife er nicht, was
geschehen war. Ein feiner Brandgeruch drang Arved in die Nase,
während sie die Tür aufrissen und in den Gang flohen.
Sie stolperten die Treppe hinunter und blieben erst draußen
vor der Tür stehen. Lioba atmete durch, sagte aber nichts.
Arved schaute an der vernachlässigten Fassade hoch. Im
ersten Stock, rechts neben dem Treppenhaus bewegte sich die
Gardine. Die Gestalt dahinter wirkte größer als
Manfred Schult. Dunkler. Und noch dürrer. Arved fuhr es kalt
den Rücken hinunter.
»Kommen Sie«, riss Lioba ihn aus seiner
Erstarrung. Dann riss sie an ihm selbst. Bald hatten sie das Haus
hinter sich gelassen.
Als sie in dem kleinen Renault saßen, sagte Lioba:
»So ein unangenehmer Zufall. Na, man muss die Dinge nehmen,
wie sie kommen. Warten Sie, ich kümmere mich um Ihre
Wunde.« Sie holte ein Taschentuch hervor und betupfte damit
seine Schläfe. »Es ist nicht schlimm. Es hört
schon auf zu bluten.«
Ihre Berührung tat gut. Sehr gut.
Sie knüllte das Taschentuch zusammen und warf es aus dem
Fenster. »Jetzt sollten wir versuchen, bei der
Hausverwaltung etwas zu erfahren. Sicherlich hat diese Siedlung
eine Verwaltung, auch wenn es dem äußeren
Erscheinungsbild nach eigentlich nicht zu erwarten ist. Wer mag
für die Gebäude zuständig sein? Sie wissen es
bestimmt auch nicht, oder? Na, dann müssen wir uns etwas
einfallen lassen. Vielleicht…« Ihr Redeschwall
verebbte. Sie startete den Motor und fuhr los.
Schweigend saßen sie nebeneinander, bis sie aus diesem
schrecklichen Viertel herausgefunden hatten. Lioba parkte am
Straßenrand, als sie ein Telefonhäuschen
erspähte, stellte den Wagen halb auf den Gehweg, halb auf
den Radfahrweg und flatterte aus dem Auto.
»Bin nur kurz weg«, flötete sie,
offensichtlich froh, der Gegenwart Arveds für eine Weile
entkommen zu sein. Er sah ihr nach, beobachtete, wie ein
Radfahrer sie klingelnd und fluchend umrundete und böse
Blicke in den Wagen warf. Als das Knallen ihrer Stiefel verhallt
war und sie das kleine Telefonhäuschen betreten hatte,
kehrte wieder Frieden ein.
Arved fühlte sich, als stehe er neben sich selbst und
betrachte einen Film von David Lynch. Er begriff gar nichts mehr.
Sie hatten Thomas Carnacki nicht gefunden, dafür aber Liobas
Ex-Mann, einen offensichtlich sozial abgerutschten Ex-Lehrer, der
dunkle Andeutungen von Liobas Ex-Leben gemacht hatte. Lioba
erschien Arved plötzlich in einem ganz anderen Licht. Er
hatte sich oft gefragt, wer sie eigentlich war. Natürlich
war ihm klar gewesen, dass auch sie ein Vorleben hatte, aber er
hatte es sich nicht im Entferntesten vorstellen können. Auch
jetzt war er nicht schlauer, er wusste nur, dass es dunkle
Flecken besaß.
Lioba quetschte sich triumphierend durch die Tür der
Telefonzelle. Sie riss die Fahrertür auf und lenkte den
Wagen vom Bürgersteig, fädelte sich in den
Feierabendverkehr ein und gab Gas. »Vielleicht schaffen wir
es noch rechtzeitig«, meinte sie. »Die
Verwaltungsgesellschaft befindet sich direkt gegenüber dem
City-Parkhaus.« Sie überholte links und rechts,
scherte sich nicht um Geschwindigkeitsbegrenzungen, nahm einmal
den Gehweg, um schneller voranzukommen, und hupte nach
Herzenslust. Alles schien ihr recht, um nicht mit Arved reden zu
müssen. Sie jagte den Twingo in das Parkhaus, raste die
Schnecke hoch, bis sie ganz oben endlich einen Parkplatz fand.
Quietschend und ruckelnd kam der Wagen zum Stehen.
Arved stieg mit zitternden Knien aus und wischte sich den
Schweiß von der Stirn. Es roch verbrannt vom
Reifenabrieb.
Lioba ging mit weit ausholenden Schritten auf das Treppenhaus
zu. »Kommen Sie, jede Minute zählt!«
Genau gegenüber dem Parkhaus war die Grund-, Boden-
und Hausverwaltungsgesellschaft Trier mbH in einem
heruntergekommenen Gründerzeitgebäude untergebracht,
dem eine dichte Efeuranke an der
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