Das Schicksal in Person
»Liebe?«
»Ja«, sagte Elizabeth Temple. »Eines der schrecklichsten Worte, die es gibt.«
6
M iss Marple beschloss, die für den Nachmittag vorgesehene Besichtigungsfahrt nicht mitzumachen. Sie erklärte, dass sie müde sei und sich eine Weile ausruhen wolle. Sie werde die andern dann zum Tee wiedersehen. Mrs Sandbourne hielt dies für sehr vernünftig und stimmte ihr zu.
Miss Marple setzte sich auf eine bequeme Bank vor dem Tearoom, den man ihr genannt hatte, und dachte darüber nach, was jetzt zu tun sei und welche Schritte sie zunächst unternehmen müsse.
Als die andern zur Teezeit wiederkamen, richtete sie es so ein, dass sie an einem kleinen Tisch neben Miss Cooke und Miss Barrow zu sitzen kam. Der vierte Platz wurde von Mr Caspar eingenommen, von dem Miss Marple annahm, dass er als Ausländer nicht allzu viel von der Unterhaltung verstehen würde. Es dauerte nicht lange, da ging Miss Marple zum Angriff über. Sie sagte, zu Miss Cooke gewandt:
»Übrigens, ich bin ziemlich sicher, dass wir uns irgendwo schon mal gesehen haben. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, aber ich bin jetzt so alt, dass es mir nicht mehr sofort einfällt. Doch gesehen habe ich Sie bestimmt irgendwo.«
Miss Cooke schaute sie freundlich, aber etwas zweifelnd an. Auch Miss Barrow, die neben Miss Marple saß, schien das Rätsel nicht lösen zu können.
»Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt jemals in der Gegend waren, in der ich wohne«, sagte Miss Marple. »Ich lebe in St. Mary Mead. Ein sehr kleiner Ort allerdings, nicht weit von Loomouth.«
»Oh«, sagte Miss Cooke, »das könnte schon sein. Ich kenne Loomouth recht gut und vielleicht – «
Auf einmal war es Miss Marple eingefallen. »Aber natürlich«, rief sie aus, »damals, als ich in meinem Garten war und Sie draußen am Zaun vorbeikamen. Sie sagten, dass Sie bei einer Freundin wohnten, jetzt erinnere ich mich daran.«
»Natürlich«, sagte Miss Cooke. »Wie konnte ich nur so dumm sein. Jetzt erinnere ich mich auch. Wir sprachen darüber, wie schwer es heutzutage sei, jemand für den Garten zu bekommen.«
»Ja. Sie haben nicht immer in St. Mary Mead gewohnt, nur vorübergehend, bei jemand aus Ihrer Bekanntschaft.«
»Ja, ich wohnte bei… bei…!« Einen Augenblick zögerte Miss Cooke und machte den Eindruck, als erinnere sie sich nur schlecht an bestimmte Namen.
»Bei einer Mrs Sutherland, nicht wahr?«, fragte Miss Marple forschend.
»Nein, es war eine – eine Mrs – «
»Hastings«, half ihr nun Miss Barrow weiter und nahm sich dabei ein Stück Schokoladentorte von der Kuchenplatte.
»Ach ja, in einem der neuen Häuser«, sagte Miss Marple.
»Hastings!«, rief Mr Caspar und strahlte. »Ich war in Hastings und auch in Eastbourne. Herrlich – am Meer.«
»Was für ein Zufall«, sagte Miss Marple. »Dass wir uns so bald wieder treffen. Die Welt ist doch wirklich klein.«
»Wir sind eben alle Gartenfreunde«, sagte Miss Cooke.
»Blumen sind sehr schön«, pflichtete Mr Caspar bei. »Ich liebe sie sehr.« Wieder strahlte er die andern an.
»So viele seltene und schöne Sträucher«, sagte Miss Cooke.
Miss Marple begann nun eine gärtnerische Fachsimpelei mit Miss Cooke, und hin und wieder machte auch Miss Barrow eine Bemerkung. Mr Caspar verfiel in lächelndes Schweigen.
Später, als Miss Marple sich vor dem Abendessen wie üblich kurz hinlegte, überdachte sie, was der Tag ihr gebracht hatte. Miss Cooke hatte zugegeben, dass sie in St. Mary Mead gewesen war. Sie hatte auch zugegeben, dass sie an Miss Marples Haus vorbeigekommen war. Es sei, hatte sie ihr beigepflichtet, wirklich ein erstaunlicher Zufall gewesen. Ein Zufall? War es wirklich nur ein Zufall, oder hatte sie einen Grund gehabt, nach St. Mary Mead zu kommen? War sie vielleicht dorthin geschickt worden? Aber weshalb? War dieser Gedanke nicht etwas abwegig?
»Jeder Zufall«, sagte Miss Marple vor sich hin, »ist es wert, beachtet zu werden.«
Miss Cooke und Miss Barrow schienen zwei ganz normale Freundinnen zu sein, die jedes Jahr zusammen eine Reise machten. Im letzten Jahr waren sie auf einer Kreuzfahrt in Griechenland gewesen und im Jahr davor in Holland, um sich die Tulpenfelder anzusehen. Sie machten nicht den Eindruck, als ob irgendetwas Ungewöhnliches hinter ihnen steckte. Und doch hatte Miss Cooke einen Augenblick so ausgesehen, als ob sie ihren Besuch in St. Mary Mead leugnen wollte. Sie hatte Miss Barrow angeschaut, als ob sie von ihr irgendeinen Wink erwartete.
»Aber
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