Das Schicksal in Person
Jocelyn St. Mary, in dem Miss Clotilde Bradbury-Scott, Mrs Glynne und Miss Anthea Bradbury-Scott lebten. Das hatte alles Mr Rafiel arrangiert, bevor er starb. Einige Wochen vorher. Sie war also aus einem ganz bestimmten Grund hier in diesem Haus, vielleicht für zwei Tage, vielleicht auch länger. Es könnten Dinge geschehen, die sie veranlassten, länger zu bleiben. Vielleicht würde man sie auch darum bitten.
Mrs Glynne und ihre beiden Schwestern. Sie mussten irgendetwas mit der Angelegenheit zu tun haben. Das musste sie herausbekommen. Die Zeit war kurz, das war die größte Schwierigkeit. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie die Fähigkeit hatte, der Sache auf die Spur zu kommen. Sie gehörte zu der Sorte geschwätziger alter Damen, von der man erwartete, dass sie viel redeten und viele Fragen stellten. Das war ihr Vorteil. Sie würde den Schwestern Fragen stellen, eine ganze Menge sogar. Doch sie brauchte Zeit dazu. Zwei Tage würde sie nur hier bleiben, dann würde sie die Reise fortsetzen. Es sei denn, die Dinge würden sich ganz anders entwickeln.
Aber sie durfte nicht zu lange hier oben in ihrem Zimmer bleiben. Sie würde das Nötigste auspacken und zu ihren Gastgeberinnen hinuntergehen. Waren die drei Schwestern ihre Verbündeten oder ihre Feindinnen? Beides konnte der Fall sein.
Jemand klopfte an die Türe, Mrs Glynne kam herein.
»Ich hoffe, Sie werden sich hier wohl fühlen. Kann ich Ihnen beim Auspacken helfen? Wir haben ein sehr nettes Mädchen, aber sie ist nur vormittags da. Sie steht Ihnen natürlich immer zur Verfügung, wenn Sie sie brauchen.«
»Das ist sehr nett, vielen Dank«, sagte Miss Marple. »Ich hab nur das Notwendigste ausgepackt.«
»Ich dachte, ich zeige Ihnen lieber genau, wie es nach unten geht. Das Haus ist ziemlich verbaut, es gibt zwei Treppenhäuser, und das macht die Sache etwas kompliziert. Manchmal finden sich die Gäste nicht zurecht.«
»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen.«
»Ich hoffe, Sie setzen sich etwas zu uns, damit wir vor dem Essen ein Glas Sherry trinken können?«
Miss Marple nahm das Angebot dankend an und folgte ihrer Gastgeberin. Mrs Glynne, schätzte sie, war ein gutes Stück jünger als sie selbst, um die Fünfzig vielleicht. Miss Marple stieg die Stufen sehr bedachtsam hinunter, denn ihr linkes Knie war schwach und machte ihr immer Schwierigkeiten. Zum Glück hatte die Treppe auf der einen Seite ein Geländer. Übrigens eine sehr schöne Treppe, wie sie zu Mrs Glynne bemerkte.
»Es ist überhaupt ein hübsches Haus«, sagte sie. »Wahrscheinlich aus dem 18. Jahrhundert?«
»1780«, sagte Mrs Glynne, die sich über Miss Marples bewundernde Worte zu freuen schien. Dann führte sie ihren Gast in den Salon. Es war ein großer, eleganter Raum. Miss Marple entdeckte einige schöne Möbelstücke. Einen Schreibtisch aus der Zeit der Queen Anne und eine etwas frühere Kommode mit Intarsien. Außerdem standen einige große viktorianische Schränke und Stühle an den Wänden. Die Vorhänge waren aus unansehnlich gewordenem verblichenem Chintz. Der Teppich schien irischer Herkunft zu sein, mit einem Aubusson-Muster. Das Sofa war breit und mächtig, der Samt ziemlich abgenutzt. Dort hatten die beiden anderen Schwestern Platz genommen. Sie standen auf, als Miss Marple hereinkam. Die eine führte sie zu einem Sessel, die andere brachte ihr ein Glas Sherry.
»Ich weiß nicht, ob Sie lieber gerade sitzen. Für manche Menschen ist es bequemer.«
»Ja, gerne«, sagte Miss Marple. »Es ist mir angenehmer. Wegen des Rückens.«
Die Schwestern schienen sich mit Rückenschmerzen auszukennen. Die älteste war eine große, gut aussehende Frau mit dunklem, hockgestecktem Haar. Die andere war ziemlich viel jünger und dünn und hatte graues Haar, das früher einmal blond gewesen war und nun unordentlich auf die Schultern herabhing. Eine etwas geisterhafte Erscheinung, dachte Miss Marple, wie eine alternde Ophelia. Clotilde dagegen, die ältere, war ganz und gar kein solcher Typ, hätte aber eine prächtige Klytämnestra abgegeben. Man konnte sich vorstellen, wie sie ihren Mann mit Begeisterung im Bad erdolchte. Da sie jedoch nicht verheiratet war, war dies ein absurder Gedanke. Miss Marple konnte sich nicht vorstellen, dass sie außer einem Ehemann irgendjemand hätte umbringen können – und in diesem Haus hatte es keinen Agamemnon gegeben.
Clotilde Bradbury-Scott, Anthea Bradbury-Scott, Lavinia Glynne. Clotilde war fast schön, Lavinia etwas plump, aber
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