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Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)

Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)

Titel: Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Green
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Es war schrecklich. Ich konnte ihn kaum ansehen. Der Augustus Waters mit dem schiefen Lächeln und den ungerauchten Zigaretten war fort, und stattdessen saß da eine verzweifelte, gedemütigte Kreatur. Nur weil er allen zeigen wollte, dass er Augustus Waters mit dem schiefen Lächeln und den ungerauchten Zigaretten war und nicht die verzweifelte, gedemütigte Kreatur, die da vor mir saß.
    »Das war’s. Ich kann nicht mal mehr nicht rauchen.«
    »Gus, ich liebe dich.«
    »Wo ist meine Chance, der Peter Van Houten von irgendwem zu sein?« Schwach schlug er auf das Lenkrad ein, und das Auto hupte, während er weinte. Er legte den Kopf zurück und sah zu mir auf. »Ich hasse mich, ich hasse mich, ich hasse das, ich hasse das, ich ekel mich vor mir, ich hasse es, ich hasse es so, lass mich einfach endlich sterben, verdammte Scheiße.«
    Gemäß der Konvention des Genres behielt Augustus Waters bis zuletzt seinen Sinn für Humor, ließ keinen Moment in seiner Tapferkeit nach, und sein Geist erhob sich über die Trübsal wie ein unbezwingbarer Adler, bis die Welt selbst seine freudige Seele nicht mehr halten konnte.
    Doch das hier war die Wahrheit, ein bemitleidenswerter Junge, der sich verzweifelt dagegen wehrte, bemitleidenswert zu sein, der heulte und schrie, mit einer vergifteten, entzündeten PEG-Sonde im Bauch, die ihn am Leben hielt, aber nicht lebendig.
    Ich wischte ihm das Kinn ab und nahm sein Gesicht in beide Hände und kniete mich ganz nah vor ihn, so dass ich seine Augen sah, die noch lebten. »Es tut mir leid. Du bist in einem ruhmlosen Krieg gegen dich selbst gelandet. Ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, es wäre so wie in dem Film mit den Persern und den Spartanern.«
    »Ich auch«, sagte er.
    »Aber so ist es nicht«, sagte ich.
    »Ich weiß«, sagte er.
    »Es gibt keine Bösen.«
    »Ja.«
    »Nicht mal der Krebs ist ein richtiger Schurke: der Krebs will auch nur überleben.«
    »Ja.«
    »Es ist alles okay«, sagte ich. Ich hörte die Sirenen.
    »Okay«, sagte er. Er verlor langsam das Bewusstsein.
    »Gus, du musst mir versprechen, so was nicht noch mal zu versuchen. Ich kauf dir Zigaretten, okay?« Er sah mich an. Seine Augen schwammen in ihren Höhlen. »Das musst du mir versprechen.«
    Er nickte kaum merklich, und dann schloss er die Augen, und sein Kopf sank zurück.
    »Gus«, sagte ich. »Bleib bei mir.«
    »Lies mir was vor«, sagte er, als der verdammte Krankenwagen an uns vorbeiraste. Und so begann ich, während ich wartete, bis der Krankenwagen umdrehte und uns endlich fand, das einzige Gedicht zu zitieren, das mir einfiel, »Die rote Schubkarre« von William Carlos Williams.
     
so viel hängt ab
von
 
einer roten
Schubkarre
 
glänzend vom
Regenwasser
 
bei den weißen
Hühnern.
     
    William Carlos Williams war Arzt. Es kam mir vor wie ein Arztgedicht. Das Gedicht war zu Ende, aber der Notarztwagen fuhr immer noch in die andere Richtung, also dichtete ich einfach weiter.
     
     
    Und so viel hängt ab, sagte ich zu Augustus, von dem blauen Himmel zerschnitten, von den untoten blattlosen Ästen der Bäume über uns. So viel hängt ab von der durchsichtigen PEG-Sonde im Bauch eines blaulippigen Jungen. So viel hängt ab vom Beobachter des Universums.
    Halb bewusst sah er mich an und murmelte: »Und du sagst, du schreibst keine Gedichte.«

KAPITEL NEUNZEHN
     
    Ein paar Tage später wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, schließlich und endgültig all seiner Ambitionen beraubt. Es waren mehr Medikamente nötig, um ihm die Schmerzen zu nehmen. Er zog dauerhaft hoch ins Erdgeschoss, in ein Krankenhausbett, das sie in der Nähe des Wohnzimmerfensters aufgestellt hatten.
    Das waren Tage im Schlafanzug mit Bartstoppeln, mit Gemurmel und Bitten und endlosem Bedanken für alles, was jeder für ihn tat. Eines Nachmittags zeigte er mit schwacher Hand auf den Wäschekorb in der Ecke und fragte mich: »Was ist das?«
    »Der Wäschekorb?«
    »Nein, daneben.«
    »Daneben sehe ich nichts.«
    »Das war der letzte Krümel meiner Würde. Er ist ganz klein.«
     
    Am nächsten Tag betrat ich, ohne zu klingeln, das Haus, weil sie nicht mehr wollten, dass ich klingelte, falls er gerade schlief. Seine Schwestern waren mit ihren Banker-Männern und drei Kindern da, alles Jungs, die auf mich zuliefen und sangen Wer bist du wer bist du wer bist du und dabei im Kreis herumrannten, als wäre Lungenkapazität eine erneuerbare Ressource. Seine Schwestern hatte ich schon kennengelernt, nur die Kinder und ihre

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