Das Schiff aus Stein
Meeres. Nimm dies Opfer zum Dank und als Zeichen meiner Liebe.« Amilcar schwieg und blickte aufs Wasser hinaus. Dann sagte er leise: »Vater, ich habe dich lange nicht verstanden, denn ich musste erst das Meinige erkennen.«
Er hob das Glas und warf es in weitem Bogen ins Meer.
Rufus sah das blaue Glas durch die Luft fliegen.
In diesem Moment begann der Boden unter den Füßen der Lehrlinge zu beben.
Sofort darauf erfüllte ein leises Brausen die Luft. Es klang wie ein fernes Gewitter, durchsetzt mit Donnerschlägen. Dann schob sich ein Prasseln darüber, als würde es anfangen zu regnen. Im nächsten Augenblick erfüllte das Geräusch eines heftigen Platzregens den gesamten Raum. Nur dass kein einziger Tropfen Wasser fiel.
Stattdessen tauchte plötzlich in Rufus’ Händen der blaue Glaskelch auf. Rufus sah ihn nachdenklich an.
Die Flutgruppe stand inmitten des Rochusturmkanals.
»Es ist ein Artefakt, das sich zeigen wollte, Rufus«, ertönte hinter ihnen Meister Spitznagels dröhnende Stimme. Der riesige Kochmeister mit den strahlend blauen Augen kam mit zwei großen Körben auf sie zu. »Ich wollte euch gerade eine Emmersuppe bringen. Emmer ist eine alte Weizensorte, die schon die Etrusker kultiviert haben. Dazu habe ich Linsen, Kichererbsen und Saubohnen, Schaf und Wildschwein. Doch wie ich sehe, komme ich damit zu spät. Ich gratuliere euch, Lehrlinge der Akademie. Ihr habt die Geschichte dieses Artefakts offenbar verstanden.«
»Ja!«, rief Anselm als Erster. »Es ist ein Glas, und zwar mundgeblasen!«
Meister Spitznagel setzte seine Körbe ab und sah sie alle ernst an. »Lehrlinge der Akademie«, sagte er dann. »Schaut in eure Beutel und erklärt, ob derjenige unter euch, dessen Fragment dank eurer Forschungen und der Kräfte der Akademie sein Artefakt gerufen und ins Heute gefördert hat, sein Fragment vermisst und es in dem erschienenen Artefakt erkennt!«
Anselm, Bent, Oliver, Rufus, Filine und No öffneten ihre Beutel. »Nein«, sagten No und Filine gleichzeitig.
Oliver hob eine Hand und schüttelte deutlich den Kopf.
Neben ihm sah Anselm in seinen Beutel. »Nein!«, sagte er.
Auch Bent öffnete seinen Beutel. »Meins ist auch noch da!«
Rufus hätte nicht nachsehen müssen, so sicher war er sich. Aber dann zog er seinen braunen Hirschlederbeutel auf und blickte hinein. Der Wendelring, die Locke seiner Mutter und der dunkle Stein aus Coralias Fort waren noch da, die Glasscherbe war verschwunden.
»Ja«, sagte Rufus. »Mein Fragment ist nicht mehr da!«
Meister Spitznagel zeigte auf das blaue Glas in Rufus’ Hand. »Erkennst du es dort, Rufus?«
Rufus betrachtete das Glas. Dann hielt er es hoch und musterte es gegen das Licht. Im tiefen Blau des Glases schimmerten drei Wellenlinien in einem tiefen, warmen Gelb.
»Ich erkenne es«, sagte Rufus.
Meister Spitznagel lächelte ihm zu. »Dann wisst, Lehrlinge der Akademie, das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. Erlösung ist Erinnerung.«
Eine Stunde später versammelten sich die Lehrlinge der Akademie in der Aula. Der holzgetäfelte Saal mit dem kunstvollen Parkettboden war hell erleuchtet.
Im warmen Holz der Decke und des Bodens spiegelte sich das Licht farbiger Ampeln, die unter der Decke hingen und ihren Schein bis in die hinterste Ecke warfen. Die Wände wurden von prächtigen Gemälden geschmückt. Mit Edelmetallen durchwirkte und perlenbestickte, schwere Vorhänge bedeckten die Fenster, und viele verschiedene Artefakte, die in erfolgreichen Fluten in die Akademie gelangt waren, standen auf Sockeln und alten Holztischen.
Die Lehrlinge aus der Flutgruppe ließen sich auf die verschiedenen Stühle fallen, die es in der Aula gab. Keine Sitzgelegenheit hier glich der anderen. No setzte sich auf einen afrikanischen Hocker, Anselm und Bent fanden auf einem orientalischen Diwan Platz, Oliver ließ sich in einen Schaukelstuhl fallen. Rufus ging zu seinem Lieblingsplatz, einem steinernen Löwen, und Filine wählte einen sehr alten Lehnstuhl.
»Willkommen, Lehrlinge der Akademie!«, empfing sie Direktor Saurini, der bereits auf einem Podest im hinteren Teil der Aula stand. Er war von Meister Spitznagel informiert worden und hatte das blaue Glas vor sich. »Einer der größten Flutgruppen der vergangenen Monate«, er deutete strahlend auf die sechs Lehrlinge, »ist es gemeinsam gelungen, dieses wundervolle mundgeblasene Glas in einer Flut vom Grund des Mittelmeeres für die Menschheit zu bergen. Die Geschichte dieser Flut, die ich
Weitere Kostenlose Bücher