Das Schiff aus Stein
des Wassers. Das Wasser war in der Antike schon immer eine starke Kraft. Es kann stark und wild, chaotisch und gefährlich sein. Doch es bringt auch Leben und Freiheit. Sein Gott ist ein undurchschaubares Wesen für den Menschen – aber jetzt hat Amilcar vielleicht seinen Frieden mit dem Meer gemacht. Jetzt, wo er auf dem Meer das Geheimnis seines Vaters entdeckt hat. Und dafür will er dem Gott vielleicht danken.«
Kaum hatte Filine diese Worte gesagt, kehrte die Flut zurück.
Die Lehrlinge standen auf einer Insel und vor ihren Augen lag das Mittelmeer, auf dem sich Amilcars Schiff näherte. Es hielt auf eine schmal wirkende Wasserstraße zwischen der Insel und dem nahen Festland zu.
»Das muss Sizilien sein«, erklärte Bent. »Die Meerenge von Messina, wo wir auch auf dem Hinweg durchgekommen sind. Das ist der kürzeste Weg nach Kanaan. Sie müssen schon eine ganze Weile unterwegs sein.«
In diesem Augenblick schrie Filine auf. Sie zeigte hinter das Schiff der Tyrener. Dort tauchte am Horizont die Kriegsgaleere der Etrusker auf. Sie war länglich und schmal und im Gegensatz zum Schiff der Tyrener zusätzlich zum Segel mit einer Reihe Ruderern ausgestattet, die ihr ein höheres Tempo verliehen.
»Sie werden immer noch verfolgt!«, rief das Lehrlingsmädchen erschrocken.
Im Vergleich zum Handelsschiff von Amilcars Onkel schien das Kriegsschiff geradezu über das Wasser zu fliegen.
»Mann, die haben Glück gehabt, dass sie überhaupt von Ostia bis hier entkommen sind«, murmelte No. »Der Wind muss sehr günstig gewesen sein.«
»Aber ihr Vorsprung schmilzt«, sagte Rufus.
»Und wir müssen auf das Schiff der Tyrener!«, rief No.
»Aber wie denn?« Anselm deutete auf das Meer vor ihnen. »Sollen wir etwa schwimmen?«
»Die Leitern an Meister Otomos Haus«, befahl Rufus. »Wir klettern auf die Leitern.«
»Aber dazu müssten wir erst mal wieder raus aus der Flut«, hielt ihm Bent entgegen.
»Nein!« Rufus drehte sich um und wandte dem Meer und den Schiffen darauf den Rücken zu. »Wir müssen nur dafür sorgen, dass sie anfängt, sich zurückzuziehen. So weit, bis wir Meister Otomos Haus wieder sehen können. Dann rennen wir zu den Leitern und machen uns bereit. Wendet euch von der Flut ab!«
»Das könnte klappen!« No drehte sich ebenfalls um.
Als Oliver und Filine dasselbe taten, begann das Flutbild zu verschwimmen.
»Es funktioniert!« Filine deutete auf den verblassenden Horizont vor ihnen und im nächsten Moment schälte sich die Küche aus dem einsetzenden Grau.
»Da lang!« Rufus lief zur Küchentür.
Die Lehrlinge stürmten in den Flur und liefen in Olivers Zimmer. Um sie herum wirbelten Bilder von Felsen und Meister Otomos Haus durcheinander. Durchs Fenster stiegen sie hinaus auf die Leiter. Vor ihnen lag der Flutkanal, in dem Reste vom Meer schimmerten. Doch darauf war kein Schiff zu sehen. Hausmauern, Kanal und Wasser tauchten auf und wieder unter und darüber breitete sich ein immer stärkeres Grau aus.
Suchend blickte Rufus sich um. »Wo ist bloß das Schiff?«
»Da!«, zeigte Filine. »Da war ein Stück Holz!«
Die anderen fünf Lehrlinge wandten die Köpfe, doch im selben Augenblick war das Bild wieder verschwunden. Im nächsten Moment erhaschte Rufus einen Blick auf eine dunkle Holzplanke. Ohne zu zögern, sprang er von der Leiter und landete auf allen vieren darauf. Wie eine Katze klammerte er sich an. Im selben Augenblick war das Schiff wieder da und Rufus lag auf dem Deck.
»Die Flut ist zurück!«, rief Rufus. »Kommt her!«
No machte sich zum Absprung bereit.
»Halt!«, schrie Anselm. »Seht ihr denn nicht, was gleich passiert?«
Rufus blickte zu ihm nach oben. »Was meinst du denn?«
Anselm deutete hinter ihn aufs Meer. »Das Kriegsschiff ist ganz nah! Die werden dieses Schiff hier garantiert rammen. Die meisten Kriegsschiffe damals hatten vorne am Bug einen Rammsporn aus Bronze. Er liegt unter der Wasserlinie, deshalb sehen wir ihn nicht.«
»Das stimmt!«, rief Bent. »Diese Schiffsschnäbel sind die Waffen gewesen im antiken Seekrieg. Man stößt ein Loch in das gegnerische Schiff und macht es so manövrierunfähig. Und dann entert man das Schiff und kämpft. Oder es versinkt sogar! Wenn wir jetzt springen, gehen wir vielleicht mit unter.«
»Aber, Leute!«, schrie Rufus. »Das ist unsere Flut! Wir können sie doch nicht aufgeben, nur weil das Schiff der Etrusker einen Rammsporn hat.«
»Und wenn wir untergehen?«
»Wir gehen nicht unter!«, rief Filine. »Aber
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