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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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dazu eigentlich zu milde und zu nichtssagend, nicht annähernd schlimm genug für diese entsetzliche Situation. Doch trotz aller Widrigkeiten ist die Angst vor etwas Entsetzlichem mittlerweile simplem Kummer gewichen. Und die Hälfte dieses Kummers liegt an enttäuschten Erwartungen .
    Mir fallen weitere Wörter ein, längere, bedeutsamere Wörter, die auf bestimmte Vorgänge hindeuten – eine Umgebung, eine Welt, die ihre eigenen Erwartungen hat. Sobald mir Wörter einfallen, ist es so, als öffneten
sich Türen. Und jede Tür birgt eine Verheißung. Es dauert nicht lange, da brülle ich großartige neue Wörter in das bräunliche Zwielicht hinaus, denn es ist hier nicht völlig dunkel. Manchen Wörtern fehlt jegliche Bedeutung, andere verschaffen mir innere Sicherheit und Erleichterung.
    In der Körpermitte macht sich jetzt ein Schmerz bemerkbar, den man Hunger nennt. Wenn dieser Schmerz zunimmt, wird sich mein Kummer in eine Tortur verwandeln. Ist wohl besser, wenn ich irgendetwas unternehme, anstatt nur Wörter ins Leere zu brüllen – so weit blicke ich schon durch. Kann es mir nicht leisten, hier nur herumzusitzen und meine Lage zu beklagen.
    Doch unwillkürlich bahnen sich weitere Wörter den Weg zur Zunge, und ich schreie sie heraus. Schicksal. Monster. Tod. Pflicht.
    Das schlimmste Wort ist Hunger . Ich wäre besser dran, würde ich jetzt erfroren bei den anderen in ihren Säcken liegen, hinter all diesen Luken und Schotts.
    Die Kleine hat irgendetwas weggeworfen, muss noch irgendwo auf dem Gang sein. Und der Tod lässt sich Zeit. Immer habe ich auf ein schnelles Ende gehofft, aber anscheinend habe ich schon zu viel mitgemacht, um mich, am Boden liegend, einfach in Eis zu verwandeln. Also wälze ich mich herum und krieche auf allen vieren vorwärts. Schließlich hat mir das Laufen und Rennen bisher nichts Gutes eingebracht.
    Auch der Gedanke ans Sterben schwindet bald wieder. Mir wird klar, dass hungrige Menschen sich nur eines wünschen, und das ist nicht der Tod.

    Tod. Schicksal. Welches Wort bezeichnet diese neue Welt, in die ich jetzt eingetreten bin?
    Hunger.
    Und die Antwort darauf heißt Nahrung . Die Kleine hat sich in Nahrung verwandelt, weil ein anderes – riesiges und unheimliches – Geschöpf Hunger verspürte. Meine Hand schließt sich um den winzigen viereckigen Gegenstand, den sie mir zugeworfen hat. Ich kann ihn fühlen, aber nicht deutlich sehen und überlege, was das sein könnte. Das Ding besteht, glaube ich, aus Leichtmetall . Oder aus Kunststoff . Diese beiden Wörter, die mir spontan eingefallen sind, lösen sofort weitere Erinnerungen aus. Meine Welt besteht aus Gegenständen, und diese Gegenstände haben bestimmte Eigenschaften. Komisch, wie unvermittelt einzelne Puzzleteilchen nach und nach auftauchen. Das viereckige Ding flattert in meiner Hand, und jetzt merke ich, dass es einen Dreh- und Angelpunkt hat. Zu einer Seite hin lässt es sich öffnen. Es ist ein Buch . Ich kann die dünnen, aber festen Seiten ertasten. Wäre es hell genug, könnte ich sie mir vielleicht ansehen und dann lesen – falls sie nicht leer sind.
    Und falls ich das Lesen noch beherrsche.
    Meine Finger spüren Einkerbungen auf der glatten Oberfläche, auf dem Buchdeckel . Insgesamt sind es sieben. Ich zähle sorgfältig nach, denn ich habe ja sowieso nichts anderes zu tun. Hier werde ich wohl kaum etwas finden, das den Hunger vertreibt. Und sterben werde ich auch nicht so bald.
    Ich sitze hier so fest wie Fleisch in einer Konservendose. Fleisch. Konservendose. Falls es wärmer und wärmer
wird, verwandele ich mich vielleicht in Schmorfleisch .
    Heutzutage isst niemand mehr Fleisch aus der Konservendose. Überhaupt isst ja niemand mehr Fleisch, in welcher Form auch immer. Mal abgesehen von dem unheimlichen Pelzwesen.
    Mein Bauch rumort. Bestimmt würde ich geschmort ziemlich angenehm riechen. Ich denke über die Wörter nach, die die verschiedenen Teile meines Körpers bezeichnen, innen und außen. Offenbar weiß ich jede Menge unnützer Dinge, aber nicht, wie ich vermeiden kann, verspeist zu werden. Ich weiß, wie groß ich bin, ich weiß mich zu bewegen, weiß nutzlose simple Dinge, aber nicht, was hier vor sich geht, wo ich etwas zu essen finden kann, was das Buch enthält und warum es auf dem Deckel sieben kleine Einkerbungen hat.
    Ich döse kurz ein, schrecke hoch, döse erneut ein. Vor meinem inneren Auge sehe ich – stelle ich mir vor –, wie ich mit jungen Leuten rede, jüngeren Versionen von mir.

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