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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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Live Twice. Und was lese ich im Armchair? Ohne Schutzumschlag ist das Buch heute 1100 Dollar wert.«
    »Und mit Schutzumschlag?«
    »Man kann nicht alles haben, Kinder.«
    Jade war ungefähr 1,85 in groß, ein sehniger, nervöser Bursche in meinem Alter, der einen Hang zu auffallenden Klamotten hatte. An diesem Abend trug er einen flaschengrünen Samtanzug mit aufgesetzten Taschen, violettes Hemd mit weißem Kragen, einen safrangelben Pullover, eine weiße Seidenkrawatte mit aufgestickten schwarzen Pistolen und spitze schwarze Tangoschuhe mit weißen Kappen. Angeblich verkaufte Jade Versicherungspolicen, aber wenn ihn jemand nach Einzelheiten fragte, winkte er ab: Versicherung? Laß die Finger davon, Alter. You only live twice. Ein Paradiesvogel unter den Krimi-Fans, in der Regel arbeitslose Lehrer auf der Suche nach einem Lektor, der ihre stümperhaften Thriller-Versuche abnahm, oder die typischen Sammlerfiguren, manisch Depressive, deren Leben eine Surrogat von stockfleckigen Schmökern, Preislisten und imaginären Trödelläden war, in denen sie eines Tages eine limitierte Erstausgabe der burmesischen Übersetzung von Sherlock Holmes fanden. Und dann gab es noch die Aficionados, die echten Kenner wie Jade, oder der Mann, der ihr Klubchef war, Leute, die eine ganze Nacht damit verbringen können, die Bedeutung der Ortsnamen in den Romanen von Agatha Christie zu erklären – und warum Mike Hammer nur eine,45er benutzt.
    Und deswegen war ich am Dienstag Abend da.
    Ich drängte mich zur Bar durch und bestellte mir etwas zu trinken, und schließlich gelang es mir, Jade in Beschlag zu nehmen und ihn nach einem schwarzhaarigen Bierwagen zu fragen, der Mickey Spillane für den Größten hielt. Aber Jade mußte passen.
    »Und ich bin schließlich fast jeden Dienstag hier.«
    Dienstags tagten die Krimi-Fans im Klubraum, freitags die SF-Fans, und die Dekoration war infolgedessen eine bizarre Mischung – Barbarella und Bogart.
    »Schlechten Tag gehabt, Harder?«
    »Einen seltsamen. Kennst du zufällig einen Club Kamasutra?«
    »Den alten hab ich gekannt, der dann abgebrannt ist. Der war früher in der Kaiser-Friedrich-Straße, gegenüber vom Boheme. Das war ein gehobener Puff, Harder, wenn du mal gut gezogen hattest und dir eine angenehme kleine Orgie in relaxter Atmosphäre gönnen wolltest. Aber der ist dann abgebrannt, letztes Jahr.«
    »Es gibt ihn aber wieder. In der Bleibtreustraße.«
    Jade nickte und nahm einen Schluck Bacardi. »Weiß ich, Harder. Aber unter neuem Management. Ganz anderes Ambiente. Zutritt nur noch mit feinsten Connections. Man hört da so manches. Ein Klub für spezielle Wünsche, du verstehst schon.«
    »S/M?«
    »Och, du darfst da sicher auch rein, wenn du in Schürze und Häubchen unterwegs bist. Oder auf dem Scheißhaustrip. Aber nur, wenn du kohlemäßig absolute Sahne bist.«
    »Wo hört man solche Sachen, Jade?«
    »In meiner Branche muß man so etwas wissen, mein Junge. Darf man fragen, warum du dich dafür interessierst? Ich meine, wenn du ein gepflegtes Bordell zu zivilen Preisen suchst …«
    In diesem Augenblick sagte eine hohe, heisere Stimme in unserer Nähe: »Harder interessiert sich doch nicht für Puffs. Harder interessiert sich doch nur für heiße Stories, hab ich recht, Harder?«
    Wir machten nicht den Fehler, uns nach der Stimme umzudrehen. Wir brauchten nur nach unten zu sehen, und da stand er, Albin, ein zwergenhafter Mensch, vielleicht einsfünfunddreißig klein, das Maskottchen des Klubs. Mr. Horror, wie sie ihn hinter seinem Rücken nannten, verdiente sein Geld mit kleinen Rollen beim Film (und als Amateurzuhälter, hieß es). Er war zwischen vierzig und fünfzig, trug immer nur Nadelstreifenanzüge und T-Shirts und hochhackige Stiefel aus echtem Krokodilleder (von einem weiblichen Verehrer, hieß es). Er hatte ein bleiches, von Falten schraffiertes Gesicht mit schwarzen, stechenden Augen, trug seine schwarzen Haare lang und im Nacken zu einem Entenschwanz frisiert und rauchte parfümierte Orientzigaretten aus einer langen Elfenbeinspitze. Wenn Albin in der Nähe war, brauchte man keinen Gruselfilm mehr.
    »Ich bin aus dem Geschäft mit den heißen Stories ausgestiegen«, sagte ich.
    »Und was machst du jetzt?«
    »Vielleicht schreibe ich einen Krimi.«
    »Damit läßt sich in Deutschland kein Geld verdienen.«
    »Wer redet von Büchern? Ich dachte an einen Film.«
    »Mit anderen Worten, du bist doch noch hinter heißen Stories her.«
    »So wie du hinter heißen

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