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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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Muschis«, sagte Jade.
    Albin verzog seine blutleeren Lippen zu einem wölfischen Grinsen. »Daß ihr immer auf uns kleine Menschen so futterneidisch sein müßt«, flüsterte er und driftete zur Sitzecke, wo gerade eine erregte Diskussion über die neuen amerikanischen Polizeiromane in Gang war – der Trend der achtziger Jahre, was die Verfechter und Gralshüter der ›Private Eye‹-Tradition in Rage versetzte: »Dazu kann man nur sagen, was schon Chandler von Spillane sagte …« Sie brachten sich in Stimmung für den Höhepunkt des Abends, den gemeinsamen Besuch der Nachtvorstellung von Point Blank mit Lee Marvin, einem Film, von dem sie jede Einstellung und jeden Dialog auswendig kannten, ob sie nun zur klassischen ›Detection‹-Fraktion, zum ›Private Eye‹Flügel oder zu den Rabauken zählten, die nur die allerhärtesten Helden gelten ließen und einen Film wie Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia für den absoluten Gipfel menschlicher Schöpfungskraft und künstlerischen Genius hielten.
    »Du siehst nach Schwierigkeiten aus«, fand Jade. »So hab ich dich noch nie erlebt.«
    »So oft hast du mich überhaupt noch nicht erlebt.«
    Ich kannte Jade, seit ich in Berlin lebte, gut zwei Jahre, aber öfter als ein halbes Dutzend Mal hatten wir uns noch nicht getroffen. Man traf sich, trank einen zusammen, und dann verschwand jeder wieder mit seinem Leben in seinem Teil der Stadt.
    »Ich bin tatsächlich einer Story auf der Spur. Vielleicht schaffe ich damit mein Comeback. Die Sache hat bis jetzt aber noch jede Menge lose Enden, und eins davon könnte in der Bleibtreustraße sein – in dem Haus, wo auch das Kamasutra liegt.«
    »Wenn du Hilfe brauchst, ich hab momentan nicht so arg viel um die Ohren«, sagte Jade. »Versicherungsmäßig läuft die Chose an mir etwas vorbei in letzter Zeit.«
    »Was hörst du denn von der Zentrale?«
    »Düsseldorf? Du weißt doch, wie das ist, wenn man so lange in der Kälte ist, Harder. Das Tam-Tam kommt noch laut und deutlich durch, aber in den Leitungen ist schon so ein hohler Pfeifton, als ob der ewige Winter mitschwingt.«
    »Düsseldorf liegt doch nicht in Sibirien. Und das mit der Kälte ist doch aus einem Agenten-Roman.«
    »Versicherungsagenten sind auch Agenten, Harder.«
    In diesem Augenblick fiel das Licht aus.
    Stille. Nervöses Kichern. Plopp-plopp-plopp: der undichte Wasserhahn am Tresen.
    Dann: »Ein Kurzer, ist nur ein Kurzer!«
    »Hast du denn keine Taschenlampe!«
    »Und das im Krimi-Klub!«
    »Nur Ruhe bewahren, meine Damen und Herren. Die Jungs von der Spurensicherung treffen sofort ein …«
    Gelächter, Proteste: »Sogar einen Kurzschluß benützt ihr, um den Police Procedural abzufeiern!«, mehr Gelächter, und dann ein Schrei – aber einer, der echt klang. Eine Frauenstimme, hoch, schrill, zu Tode erschreckt. Mord im Krimi-Klub – was für Schlagzeilen. Bevor allen die Nerven durchgingen, war das Licht wieder an.
    »Verdammt, was war das denn, Beate?«
    »Da – eine Schlange!«
    »Mensch, die ist doch aus Plastik!«
    Befreites, hysterisches Gelächter. Da war sie wieder, die Schattenlinie zwischen Fact und Fiction. Das Untier ging von Hand zu Hand – eine Plastikschlange, wie man sie in jedem Geschäft für Schabernackartikel bekommt.
    »Welcher Idiot war das?«
    »Wo wir sowieso sowenig Frauen haben im Klub!«
    »Das fragst du noch? Kann doch nur Mr. Horror gewesen sein.«
    »Der Zwerg!«
    »Mensch, nicht so laut! Der hört das nicht gern.«
    »Das kann er aber ruhig hören, mich so zu erschrecken.«
    »Wo ist er denn?«
    »Nun komm schon, Albin, mußt ja nicht gleich beleidigt sein.«
    »Was macht er denn jetzt wieder?«
    »Albin, wo bist du?«
    Aber Mr. Horror antwortete nicht. Er war verschwunden. Ich sah mir die Schlange an. Nur so ein billiges Plastikding. Ein Scherzkeks, der Zwerg. Ein billiger Witz mit dem falschen Adressaten. Allerdings – ich hatte ihn ja mitbekommen.

11
    »Nett, daß du dich mal wieder blicken läßt, Harder«, knurrte Betsy Glück und hielt mir ihre Wange hin. »Hast dich ziemlich rar gemacht.«
    Ich hauchte einen Kuß dahin, wo das dicke Make-up die Narbe verdeckte, die ein unvorsichtiger griechischer Handelsmatrose Betsy vor langen Jahren mit dem Messer beigebracht hatte, bevor sie ihn mit einem Handkantenschlag außer Gefecht setzte. Das war angeblich in Marseille gewesen, wo Betsy am Alten Hafen gearbeitet hattet – hauptberuflich als Stauer, wie böse Zungen gelegentlich flüsterten. Die Figur und die Stimme

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