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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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Tag war grau, die Stadt war grau, mir war grau. Dann bog er tatsächlich Richtung Bundesplatz ab und fuhr durch das stille Viertel mit den Straßen, die nach Taunusorten benannt sind. Ein Viertel diskreter Luxussanierung. Als der Taxameter auf 21,50 stand, parkte der weinrote BMW, und Malzan stieg aus und betrat ein kleines, hell erleuchtetes Café an einer Straßenkreuzung.
    Wir fanden gerade noch eine Parklücke vor einer Bankfiliale und warteten. Nach fünf Minuten hielt an der Ecke ein schwarzer Mercedes 350 SL, die Beifahrertür ging auf, und ein ziemlich großer, dunkel gekleideter älterer Mann mit einer russischen Fellmütze stieg aus. Auch der Mercedes suchte eine Parklücke, fand aber so schnell keine. Der Mann betrat das Café, und ich zog die Luft ein – ich hatte dieses markante Profil doch erst heute mittag gesehen. Auf einem Foto in der Diele von Frau Cäcilie Richter. Dr. Harald F. Myslisch lautete sein voller Name. Mein Mann war sein politischer Mentor.
    »Das scheint ja ein echter Knüller zu werden«, sagte der Taxifahrer. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß er mich im Rückspiegel beobachtete. »Und für mich sieht er aus wie ein Spießer, der Hunger auf Schwarzwälder Kirschtorte hat.«
    »Warte hier mal«, sagte ich und gab ihm einen Fünfzigmarkschein. »Ich will mir das genauer ansehn.«
    »Ist das das Ende der Fahrt?«
    »Wenn ich nicht zurückkomme, ja.«
    Ich kam aber zurück, und zwar ziemlich bald. Ich war verrückt, meine Deckung zu verlassen – der BMW parkte so, daß der Große den Eingang im Visier hatte –, aber ich mußte schließlich Gewißheit haben. Ein rascher Blick vom Verkaufsraum in die Caféstube genügte auch. Ein Servierfräulein servierte ihnen gerade. Tea for two. Ich kaufte eine Tüte voll Plundergebäck. Noch ein Blick. Myslisch hatte seinen Mantel ausgezogen und schien sich hier länger aufhalten zu wollen, aber Malzan beachtete seinen Tee gar nicht. Er rauchte eine Zigarette und erzählte Myslisch etwas, der eifrig nickte. Keine Papiere, keine Aktenkoffer, nur zwei äußerst seriöse Herren bei einem kleinen Plausch in einem Friedenauer Café, zwischen alten Damen, die beim Kuchenessen ihren Kapotthut aufbehielten, und Schülerinnen, die Cola tranken und Filmzeitschriften tauschten. Ich wartete ab, bis ein Schwung von ihnen das Café verließ, und mogelte mich mit ihnen raus. Die zwanzig Meter zum Taxi wurden ziemlich lang.
    »Alles klar?«
    »Ich glaube, wir fahren gleich weiter.«
    Das taten wir auch. Malzan brauchte noch drei Minuten, dann bestieg er den BMW. Die Limousine Myslischs glitt in die Parklücke, und wir folgten dem weinroten Schlitten zum Stadtring. Es war 15 Uhr 54, als wir auf die Stadtautobahn Richtung Nord einbogen.
    »Die machen zum Airport«, meinte der Taxifahrer, als wir die Abfahrt Kaiserdamm/Charlottenburg hinter uns ließen. »Da ist dann aber für mich Ende, Chef.«
    »Abwarten.«
    Tatsächlich bog der BMW in den Kurt-Schumacher-Damm ein, fahr dann aber weiter, statt in Richtung Flughafen Tegel abzubiegen. Jetzt waren wir in Reinickendorf. Es war ein Ausflug auf die falsche Seite der Stadt – schäbige Siedlungen, Großtankstellen, Einkaufszentren, Güterbahnhöfe, Vertreterhotels, die Kasernen der französischen Streitkräfte. Und dazu der schmutzige Himmel, der langsam dunkel wurde, und der Stoßverkehr. Und keine Ahnung, wohin die Fahrt ging. Wir bogen in die Oranienburger Straße ein, die durch Wittenau fahrt. Vor uns tauchten die Hochhäuser des Märkischen Viertels auf, wo die Kinder nur mit einem Lineal auf die Straße dürfen, damit sie den Fahrstuhl holen können. Experimente in modernem Wohnen.
    »Bleibt nur noch die Klapsmühle«, sagte der Taxifahrer. »Bonnies Ranch.«
    »Abwarten. Und sieh zu, daß du Abstand hältst. An der letzten Ampel war es ziemlich knapp.«
    »Bei dem Verkehr …«
    Er legte einen größeren Abstand ein, und prompt war der BMW an der nächsten Ampel weg. Wir hielten am S-Bahnhof Waidmannslust. Der Fahrer gab einen unterdrückten Fluch von sich.
    »Ich glaube, die sind rechts abgebogen«, sagte ich.
    »Da geht es nach Lübars. An den Arsch der Welt.«
    »Versuchen wir’s mal.«
    Der Zabel-Krüger-Damm führte hart am Märkischen Viertel vorbei, an rissigen Betonklötzen mit Fenstern wie Spione, an Spielplätzen, die an Truppenübungsplätze erinnerten – und auf der anderen Straßenseite die Parzellen der Kleingärtner und ihre sauber geschrubbten Einfamilienhäuser, eine Wagenburg gegen die

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