Das Schlangenmaul
dafür hatte sie, aber was das andere betraf, hatte noch nie jemand den Beweis dafür angetreten, daß Betsy nicht von Anfang an das gewesen war, was sie heute sein wollte.
»Willst du etwa wieder zu Nuchali?«
»Ich war nur gerade in der Gegend und wollte mal reinschauen.«
»Sie ist nämlich im Interconti. Wir haben doch wieder drei Kongresse gleichzeitig und gerade erst das Jazzfestival hinter uns. Nächste Woche gehe ich in Urlaub.«
»Südfrankreich?«
»Wohin denn sonst?«
»Hast du das Geld für dein Restaurant endlich zusammen?«
»Nächstes Jahr ist es soweit.«
Es war immer nächstes Jahr soweit, das Spezialitätenrestaurant, das Betsy in ihrem Fischernest bei Banyuls aufmachen wollte. Sie haben alle etwas für nächstes Jahr.
»Dann komm mal rein in die gute Stube.«
Nach den Neonspotlights im Flur war das gedämpfte Licht in der Küche eine Wohltat. Es war bullig warm. Eine schokoladenbraune Schönheit von höchstens zwanzig Jahren, die nichts als einen Tangaslip und einen BH anhatte, lagerte auf dem Plüschsofa unter dem spätimpressionistischen Gemälde ›Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und das Romanische Café‹, mit dem irgendein längst vergessener Bordellkunde seine Schulden bezahlt hatte, und las mit gekrauster Stirn in einer alten Ausgabe von Newsweek. Vor dem Video thronte eine Rothaarige mit einer Rubensfigur, die von einem schwarzen Korsett nur knapp zusammengehalten wurde, und betrachtete hingerissen den alten John Wayne, der gerade mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Gaul bestieg. Auf dem Herd dampfte der Wasserkessel. Schweiß, Parfüm, feuchte Handtücher, Achselspray, Alkohol, Massageöl, Zigarettenrauch und ein Hauch von Vaseline – ich atmete tief durch.
»Wenn du diesen Geruch auf Flaschen ziehst«, sagte ich zu Betsy, »kannst du viel Geld damit machen.«
»Meinst du?«
»Du mußt nur auf die Flaschen schreiben: ›Berliner Luft‹.«
»Mach keine faulen Witze, Harder. Ich trinke jetzt einen Kamillentee.«
»Und ich leiste dir dabei Gesellschaft.«
Die schokoladenbraune Schönheit warf mir einen fragenden Blick zu. Sie hatte die Augen einer jungen Gazelle und einen atemberaubenden Mund. Und in fünf Jahren steht sie auf der Potse und macht es für einen halben Schein, dachte ich. Damit sie was gegen ihren Cold Turkey kriegt. Schuß für Schuß. Wenn du jetzt eine Latte kriegst, dachte ich, verzeih ich dir das nie. Ich bekam eine Latte. Das Läuten der Wohnungstür rettete mich. Betsy klatsche in die Hände.
»Das sind die Herren von der Konditorinnung, Mädels! An die Arbeit!«
»Ausgerechnet jetzt«, maulte die Rothaarige. John Wayne biß gerade die Zähne zusammen. Der letzte Ritt zum Rio Bravo. Sie stoppte die Kassette, warf einen Blick in den Spiegel neben der Tür und mir beim Abgang eine Kußhand zu. Die Gazelle war einfach verschwunden.
»Wie lange ist die Schöne denn schon bei dir?«
»Ein paar Wochen. Völlig unbegabt, das dumme Ding.«
»Ich frage mich, wie die nach Berlin kommt.«
»Mit einem Visum, Harder, wie alle andern auch.«
»Jemand muß das doch aber organisieren.«
»Stell keine blöden Fragen. Schütt lieber das Wasser in die Kanne.«
Ich brühte den Kamillentee auf und stellte mir dabei vor, wie der Herr von der Konditorinnung auf die Kaffeebraune Schönheit stieg. Sahnetörtchen für die Gazelle. So kam ich nicht weiter. Ich steckte mir eine Zigarette an und fragte Betsy, wie die Geschäfte gingen.
»Beschissen, Schätzchen.«
»Ich dachte, Puffs wären wieder im Kommen.«
»Aber doch nicht solche Tante-Emma-Läden wie der hier. Bring mir ein Schälchen ans Sofa, Harder, und nimm dir einen Wodka.«
»Kamillentee ist gerade richtig«, sagte ich, goß den Tee in zwei chinesische Schalen und rückte den Tisch ans Sofa. Wir schlürften und rauchten, bis wir richtig eingenebelt waren – Betsy verputzte drei Schachteln Tiparillos am Tag –, und ich bewunderte ihre neue tomatenrote Haarfarbe, die das Paprikarot ihres seidenen Hausmantels und das Burgunderrot ihrer Lippen und das Orangerot ihrer Netzstrümpfe komplettierte.
»Was für eine Art Betrieb hat denn jetzt Konjunktur?«
»Du mußt an das Publikum denken«, sagte sie, »an das zahlungskräftige Publikum. Die Werbefritzen, die Mikrochiphersteller, die Aufsteiger an der Uni und in der Politik. Der Mann hat schon mit zwanzig in Wohngemeinschaften gelebt und gehascht, der ist mit dem Motorrad durch die Staaten gegondelt und hat beim Bhagwan Gruppensex gemacht. Der hat die
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