Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
Vom Netzwerk:
du danach einmal fast die Bank gesprengt hast«, sagte Claire.
    »Dann hätte ich es aber längst wieder aufgeben müssen.«
    Zockermyhten. Auch das noch. »Was mich immer interessiert hat«, sagte ich, »was macht man, wenn man gerade fast die Bank gesprengt hat?«
    »Man fängt an, es fast alles wieder zu verspielen«, sagte Malzan.
     
    Schlesisches Tor. Er parkte unter der Hochbahnbrücke, und wir schlenderten zur Spree. Die Oberbaumbrücke lag vor uns, eine hell erleuchtete Insel, auf der schlafende Tauben von Scharfschützen bewacht wurden. Scheinwerfer bohrten sich durch den Nebel über den Fluß. Als wir zum Ufer hinabstiegen, richteten sich die Nachtferngläser auf uns. Das Holzkreuz mit dem Stacheldraht hob sich gegen den Fluß und die Brücke ab wie die Requisite eines neorealistischen Films: Christus kam bis zur Oberbaumbrücke. Ein weißer Finger aus Licht streifte uns und kroch dann weiter zu dem Liebespaar am Ende der Uferpromenade, das sich diesen Ort zum Austausch seiner nächtlichen Geheimnisse ausgesucht hatte. Im Halbdunkel stieß ich gegen eine Blechbüchse, die ein Angler stehen gelassen hatte, und sie rollte scheppernd über die Promenade und fiel in den Fluß. Zwischen den gleißenden Baracken am Ostufer ragten die Umrisse der baufälligen Hafenschuppen in die Nacht, und ein Kran stach seine Lanze in ihren dunklen Schoß. Das Mädchen zwischen uns fröstelte trotz seines Lammfellmantels. Dabei war es gar nicht kalt. Es ist nie kalt, wenn dir klar wird, von welchen Leuten dein Leben abhängt. Kalt wird es erst später.
    Malzan ergriff mit beiden Händen das Geländer und überblickte die Szenerie mit der Befriedigung eines Connaisseurs, der mal wieder feststellt, daß er einen ganz einfachen Geschmack hat: Das Beste genügt ihm. Hier war es. Dann steckte er seinen Zigarrenstummel an, machte ein paar tiefe Züge und warf den glühenden Rest ins Wasser, wo er verzischte wie eine Lunte. Die Art von Fisch, die da unten vegetierte, würde ihn sicher zu schätzen wissen.
    Claire kuschelte sich an ihn, und ich fragte mich, was ich tun sollte, wenn jetzt Mr. Horror und sein Rollkommando auftauchten. Fahrradketten, Schnappmesser, Schlagringe, und dann vielleicht eine gemütliche letzte Fahrt ans Ende der Nacht, im Kofferraum eines Mittelklassewagens, mit gefesselten Händen und Füßen, und irgendwo an einer stillen Stelle am Britzer Hafen stand dann die Tonne, der Sack Zement?
    Eine Möglichkeit war die, einfach wegzurennen. Pack dein Leben in die Füße, Harder, und spurte davon. Bestimmt konnte ich noch eine U-Bahn erwischen und in einer halben Stunde zu Hause sein. Ich konnte mich ins Bett legen, die Decke über den Kopf ziehen und versuchen, alles zu vergessen, und irgendwann würde ich, wenn das Telefon klingelte, erst beim dritten Läuten darüber nachdenken, ob es Nora Schäfer-Scheunemann wäre, die mich fragte, ob ich ihre Tochter endlich gefunden hätte – oder der Zwerg, der flüsterte, wie fühlt man sich im 13. Stock, Harder, wenn das Hochhaus brennt.
    Quatsch. Ich machte die dreißigste Gitane dieses Tages an. Töchter waren höchstens auf Trip. Hochhäuser hatten Fluchtwege.
    »Wartest du hier auf deinen Ost-Kontakt?« fragte ich. »Agenten sind ja schließlich auch eine Art Vermittler.«
    »Wunderbar«, sagte Malzan, nachdem sein Lachen verklungen war wie eine Salve, »jetzt hält Harder mich auch noch für einen Spion.«
    Claire blieb ruhig. »Wer kommt auch schon nachts hierher und bewundert die Aussicht?«
    »Ich«, sagte Malzan. »Ich bewundere diese Aussicht. Ich bewundere diese Kulisse. Für mich ist das ein Abenteuerspielplatz. Disneyland der Politik. Ich gebe zu, ich bin vernarrt in diese Stadt und ihre Möglichkeiten.« Und er sog die neblig-ölige Luft ein wie ein Kokser eine Linie vom Feinsten.

26
    Nachts in Berlin.
    »Als ich das erste Mal nach Berlin kam, hab ich den Taxifahrer gleich nach dem Kiez gefragt, das mach ich immer in einer neuen Stadt, sofort auf den Kiez, dann weißt du Bescheid. In München gibt es den ja gar nicht mehr, da weißt du dann auch Bescheid. Er lieferte mich auch gleich hier vorn Ecke Bülowbogen ab, und ich lief die Potse runter, ein Dezembertag, naßkalt, griesiger Ostwind. In jedem Torbogen die bibbernden Junkies, im Gemüseladen standen die Nutten mit ihrem Schnupfen und kauften Erdbeeren und Trauben aus Südafrika für die Luden, die beim Zocken ihren Vitaminstoß brauchten. Ich seh das Schild NEVADA, rotes Neonschild, hier an der Ecke, da

Weitere Kostenlose Bücher