Das Schlangenmaul
Ich war froh, daß ich meine dunkle Brille aufhatte, denn so konnte er die Antwort darauf vielleicht nicht lesen: Ich werde es aber wissen.
»Nora«, sagte er, und für einen winzigen Augenblick huschte ein anderer Ausdruck um seine Augen, den ich nicht erkennen konnte. Dann sah er auf seine Rolex. »Du kannst morgen mit Shiva reden, Harder.«
»Das wird Nora freuen«, sagte ich und steckte eine Zigarette an, und in den Rauch fügte ich hinzu: »Dann braucht sie sich vielleicht doch nicht an Dr. Myslisch zu wenden.«
Wo immer Malzan die Schauspielerei gelernt hatte, er hatte sie gut gelernt – und zwar die, die man am Kartentisch lernt.
»Dr. Myslisch? Wer ist das?«
»Anwalt, Abgeordneter und ein alter Freund von Paul Scheunemann und der Familie in Kladow. Ein einflußreicher Mann in der Stadt. Wenn alles nichts geholfen hätte …«
Ich zuckte die Schulter und nahm noch einen Schluck Wodka. Obwohl sie völlig still hielt, mußte sich etwas von der Spannung, die zum Schneiden dick war, auf Evelyn und von ihr auf Claire übertragen haben, denn Claire warf plötzlich ihr Glas um. Aufstand, Kellner, Wischen, neues Glas, und Evelyn entdeckte mittendrin Bekannte, und Malzan saß da, zog an seiner Zigarre und hätte einem Maler Modell sitzen können: Der Mann mit dem unergründlichen Lächeln. Oder einfach: Die Killeraugen.
»Was wirst du machen, wenn dieser Job erledigt ist?« fragte Malzan, als wir wieder saßen bis auf Evelyn, die ihren Bekannten am Nebentisch erzählte, wie wohl sie sich in Hamburg fühlte.
»Ich such mir einen neuen. Von Auftrag zu Auftrag, so leben wir Söldner nun mal.«
Er nickte, und das Lächeln, das er jetzt produzierte, war eins von der Sorte, die dem Betrachter die Illusion geben, in diesem Augenblick das Wichtigste auf der Welt zu sein. Andererseits konnten Haifische das auch, und bei ihnen waren es wahrscheinlich nur selten Illusionen.
»Ich würde gern noch weitermachen«, sagte er. »Kommst du mit? Evelyn natürlich auch.«
Aber Evelyn schlang die Arme um mich und flüsterte: »Ich mag nicht, ich hab Angst vor dem Kerl, laß dich nicht auf den ein, Heinz, komm nach Hamburg, nächste Woche, ein neuer Titel, etwas für dich, ein richtiger Job, Harder, mach das nicht, versprich’s mir …«
»Ich ruf dich an«, versprach ich ihr, aber wenn ich mir Illusionen machte, dann bestimmt nicht über einen Redaktionsjob in Hamburg. Ich mußte nicht erst achtunddreißig werden, um zu wissen, daß es Stühle gibt, die mich nicht tragen.
25
Malzan führ am Wittenbergplatz vorbei, Richtung Kanal. Gegen ein Uhr nachts rollte der BMW fast wie von selbst durch die Stadt. Wir hatten Claire in die Mitte genommen, aber die Drei von der Tankstelle waren wir deshalb noch lange nicht. Die Bäume entlang des Kanals fingen an, ihre Blätter zu verlieren. In der Stadt muß man ans Wasser, wenn man sehen will, wie es steht. Mir fiel ein, was Tex gesagt hatte. November in Berlin, da fanden die Depressionen an. Tex war noch jung. Sie konnte noch einfach in ein Flugzeug nach Sri Lanka steigen, und husch, weg waren die Depressionen. In der Gegenrichtung schien es auch zu funktionieren, wenn man sah, wie viele Tamilen nach Berlin kamen. Ost-westlicher Depressionsaustausch.
»Düstere Gedanken, Harder?«
»Ich frage mich nur, wohin die Reise geht.«
»›Reise ans Ende der Nacht‹«, sagte Malzan, »von Louis-Ferdinand Céline. Ganz großer Roman.«
»Den Titel hat er von einem Lied der Schweizergarden von 1793 genommen«, erweiterte Claire meine Bildung. »›Notre vie est un voyage/Dans l’hiver et dans la nuit …‹ Das heißt auf deutsch …«
»Dafür reicht mein Französisch«, sagte ich. »Ich bin auch durchaus empfänglich für stimmungsvolle Zitate. Aber bis zum Winter möchte ich nicht mit euch durch die Stadt kurven, ohne zu wissen, wohin es geht.«
Claire rückte etwas näher an mich. Sie war zierlich genug, um mich nicht zu bedrängen, aber ich fand ihr Parfüm etwas aufdringlich. Ich steckte mir eine Zigarette an. Wir waren jetzt mitten in Kreuzberg. Allmählich wurde mir flau. Kreuzberg paßte nun gar nicht zu Malzans Gehabe, aber es paßte vorzüglich, wenn man jemanden loswerden wollte.
»Ich weiß nicht, wie du dazu stehst«, sagte Malzan um den kalten Zigarrenstummel in seinem Mund herum, »aber ich fahre um diese Zeit immer gern mal an die Grenze und sehe nach, ob alles noch seine Richtigkeit hat – da der Russe, der Ami hier.«
»Gib doch zu, daß du das nur machst, weil
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