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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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bist du richtig. Das war schon kein Schuppen mehr, das war ein dunkles Loch, eine Höhle, irgendwo im Hintergrund ratterte ein Spielautomat, drei besoffene Penner am Tresen, hinterm Tresen ein Schwarzer, der Mundharmonika spielte, Ole Man River, und an der Wand ein riesiges Panorama, Wüstensand, Meer, Palmen. Der Strand von NE-VADA.«
    Ich nahm einen Schluck Wodka-Lemon. »Und dann hab ich realisiert, daß einer von den besoffenen Pennern eine Frau ist, eine Frau mit schwarzer Perücke und Cowboyhut und einem Mund wie eine rote Rasierklinge und einem Krückstock, eine Nutte mit einem Bein. Das erste, was sie zu mir sagte, war: He Süßer, kommste uff Zimmer? Die erste Kneipe, die erste Frage in der neuen Stadt. Am ersten Tag bin ich aus der Kneipe gar nicht mehr rausgekommen.«
    Sie hatten sie inzwischen umgetauft und renoviert, Plastiksitze und Tresen aus imitiertem Teak und Neonleuchten, aber es gibt Ungeziefer, das resistent ist gegen jedes Vernichtungsmittel, und es gibt auch noch kein Mittel gegen die Erinnerungen, außer dem Alkohol und dem Tod, und ich war nüchtern und lebte.
    »Bist du damals uff Zimmer gegangen?« Das war Claire. Malzan hätte so eine Frage nie gestellt.
    »Ich hab schon immer eine Beziehung zu Symbolen gehabt«, sagte ich und schlug dann einen Tapetenwechsel vor. Bei Claire war ich mit meiner Antwort unten durch. Malzan lächelte nur. Erst Oberbaumbrücke, dann Potsdamer Straße. Mit Kamelhaarmantel und Zigarre. Eine Nacht der Überraschungen.
    Wir steuerten den nächsten Schuppen an. Hier arbeiteten sie gerne mit K.-o.-Drinks, Tropfen in den Asbach, dann traten die Nutten auf, und irgendwann kam das Opfer im Hof zu sich und das Scheckheft war weg, oder die Uhr, oder die Hose, man war nicht wählerisch. Es gab Stammgäste, die hier regelmäßig aufkreuzten, von weit her, Häuschen in Lichterfelde oder Frohnau, der Scheck gefaltet in der Hemdtasche, die Scheckkarte im Strumpf, Taxigeld abgezählt im Mantel, und dann war wieder die Uhr weg, das Sakko, der neue Hut oder der Ehering.
    Von Malzan hielten sie Abstand, die Nutten, die Abstauber, die Knackis. Ich hatte nicht den Eindruck, daß das an Claire lag. Sie machten sogar die Musik leiser, damit wir uns unterhalten konnten, und mit einer Handbewegung scheuchte der Zapfer die junge Nutte weg, die auf dem besten Platz am Tresen hockte und in ihren Campari schniefte.
    Malzan bestellte eine Pulle Sekt, und als wir den ersten Schluck von dem Zeug genommen hatten, sah er sich in der Spelunke um und sagte: »Von Charlie Chaplin stammt der Satz: ›Im Leben gibt es keinen Sinn, nur Begehren.‹«
    Vom Billardtisch kam das Klacken von Kugeln, die ihr Ziel verfehlten. »Fragt sich nur, wohin das Begehren einen bringt.«
    »Harder, ein verkappter Moralist?«
    »Ich bin nur ein Praktiker.«
    »Ein Praktiker des Rumschnüffelns.«
    »Ich doch nicht«, sagte ich gekränkt. »Sobald ich mit dem Mädchen gesprochen habe, verschwinde ich.«
    In der trüben Beleuchtung sah er direkt traurig aus. »Das sagen alle Schnüffler. Dabei weißt du doch genau, Harder, daß man nie verschwinden kann. Man glaubt, man verschwindet, dabei hat man nur den Zug gewechselt.«
    Die schniefende kleine Nutte hatte sich an Claire rangemacht in der Hoffnung, daß sie ihr einen ausgab. Da sie wußte, daß alles seinen Preis hat, erzählte sie ihr schnell ihr Leben. Es hörte sich an wie eine meiner Serien: ›Der Sturz – Frauenbilder aus der Hölle‹.
    »Wann treffen wir Miriam – Shiva – heute?«
    »Bist du eigentlich ständig auf dem Sprung?«
    »In dieser Stadt sind doch ständig alle auf dem Sprung. Eine Stadt voller Springmäuse und Lemminge.«
    »Du müßtest meditieren«, sagte Malzan. »So wie ich, beim Spiel. Oder wie Shiva, mit den Schlangen. Claire macht koreanische Fußmassage. Alles, was dir hilft, Harder. Wenn du nicht entspannst, zerbrichst du unter Druck wie ein dürrer Zweig.«
    »Was schlägst du vor? Einen Kurs bei Frau Dr. Frenkel-Ahimsa?«
    »Ich glaube, das würde dich am Anfang überfordern. Obwohl die Schlangen dir die Augen öffnen würden.«
    »Mit Tieren stehe ich nicht auf vertrautem Fuß.«
    »Schlangen sind ganz anders.«
    »Ich kannte mal jemand, der das auch von Vogelspinnen behauptet hat.«
    »Was war das für ein Mensch?«
    »Ihr kennt euch sicher nicht. Er war Geldeintreiber für die chinesische Mafia.«
    »Journalisten kommen viel herum, wie?«
    »Ich bin kein Journalist mehr, Malzan. Ich will das Mädchen sehen.«
    »Für wen

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