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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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hatte recht: Millionen Jahre starrten mich an, und ich war derjenige, der den Blick abwenden mußte.
    »Ich frage mich, wie die Arbeit mit Schlangen aussehen mag«, sagte ich nach einer Weile.
    »Jeder Kult findet seine Jünger, Harder. Und seine zahlenden Mitglieder. Ab Januar bietet die Magic Air & Transport eine 14tägige Studienreise zu den Krokodil- und Schlangentempeln in Indien an. 3995 Mark, das ist fast geschenkt.«
    »Vollpension und mythische Erfahrung inklusive?«
    »Gesines Mann versteht was von seinem Fach.«
    »Du sicher auch. Und Shiva macht dann Reisebegleiterin?«
    »Shiva hat hier alle Hände voll zu tun.«
    »Ihre Mutter hat mir heute Nachmittag erzählt, Shiva hätte sie angerufen.«
    Er hatte gerade eine giftige Natter in der Gabel, und ich bewunderte beide – das Reptil und die ruhige Hand des Vermittlers.
    »Ich hab ihr dazu geraten«, sagte er beiläufig, nachdem die Schlange wieder in ihrem Glaspalast war. »Dann ist dein blöder Job zu Ende, und wir können uns in Ruhe über andre Dinge unterhalten.«
    »Worüber?«
    »Über Möglichkeiten, Harder.«
    Wir standen vor einem Terrarium, in dem noch munteres Treiben herrschte. Drei Schlangen beobachteten ein Mäusebaby, das auf dem Rücken lag und kläglich mit den winzigen Pfoten in der Luft ruderte.
    »Den jungen Vipern gibt man diese Delikatesse manchmal«, erklärte Malzan. »Macht einem zu schaffen, wenn man es noch nie gesehen hat, ich weiß. Aber so ist es in der Natur. Fressen und gefressen werden.«
    »In der Natur und in der Marktwirtschaft«, sagte ich und ging weiter.
    »Und das sind unsere Prunkstücke«, sagte Malzan vor den beiden Terrarien in der Mitte der Reihe. »Wir haben nämlich zwei Königskobras, Indra und Indira. Ahimsa hat sie höchstpersönlich unter unglaublichen Schwierigkeiten eingeschmuggelt. Könntest du sie unterscheiden, Harder?«
    Ich konnte nicht – jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Sie waren beide ungefähr 3,50 in lang und von einer graugrünen Färbung, die in dem kalkigen Licht spröde wirkte. Reste von etwas, das wie Fischfleisch aussah, lagen in beiden Terrarien.
    »Das ist Aal«, sagte Malzan. »Wir können ihnen schließlich ihre gewohnte Leibspeise nicht bieten – jedenfalls nicht jeden Tag –, also haben wir sie an Aal gewöhnt. Das geht natürlich nur bei jungen Tieren, sonst verhungern sie lieber. Man muß ihnen die Aale wochenlang zwangsweise in den Rachen stopfen, bis sie sie von selbst fressen – in gutem Glauben, es sei eine Art Schlange.«
    »Da müßt ihr aber einen einfühlsamen Pflegerhaben.«
    »Haben wir auch. Albin.«
    Mich fröstelte.
    »Und welche ist die, mit der Shiva tanzt?«
    Er holte sie aus dem Terrarium und zeigte sie mir. Bei der, die er Indira nannte, waren die Giftzähne ausgebrochen worden. Das Maul sah auch so noch gefährlich aus. Als er sie wieder geborgen hatte, standen ihm die klaren Schweißtropfen auf der Stirn. Er hatte sich wirklich ziemlich viel Mühe gegeben.
    »Und die andre – Indra-, die hat noch die Giftzähne?«
    Er stellte den Stab weg und zog die Handschuhe aus. »So ist es.«
    »Aber mit ihr wird dann auch nicht gearbeitet?«
    »Eines Tages schon, Harder. Die wahre Meisterschaft besteht darin, mit einer Schlange zu arbeiten, die dich beim geringsten Fehler töten kann.«

33
    Als wir ins Büro zurückkehrten, war es 20 Uhr 48. Noch eine gute Stunde auf der Spule.
    »Ist Harders Verstärkung zurück?« fragte Malzan Mr. Horror, der am Überwachungspult saß. Nur die Kameras, die außen installiert waren, waren in Betrieb. Nichts zu sehen.
    »Dann laß uns mal alleine«, sagte Malzan, und als der Zwerg verschwunden war, machte er es sich hinter dem Schreibtisch bequem und stellte die Flasche Malt auf den Tisch. Wir nahmen einen Drink und inhalierten Rauch. In der Stille hörte man wieder die Hunde heulen.
    »Beeindruckt, Harder?«
    »In Maßen. Die einzig wahre Zeitschrift und die einzig wahre Bar würden für meine freie Entfaltung genügen.«
    Er gab seinem Drehstuhl Schwung und legte die Beine auf die Tischkante. Schöne Reitstiefel. Etwas affig.
    »Du müßtest doch wissen, wie das ist, wenn du als Außenseiter anfängst«, sagte er. »Und ich hab immer und überall als Außenseiter angefangen, von dem Tag an, als ich geboren wurde.«
    »Mir bricht das Herz.«
    »Du bist vielleicht etwas abgestumpft durch deine Serien. Ich war Flüchtlingskind, in der Stadt war ich Dorfdepp, selbst später beim Theater war ich Außenseiter, ich lernte das

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