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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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den Block und das Foto zurück. »Du warst also auch in Kladow. Interessante Leute?«
    Ich steckte die Sachen in die Innentasche und die Schachtel in die Außentasche, und dabei drückte ich auf die Starttaste.
    »Ich habe nur mit Frau Richter gesprochen«, sagte ich und versuchte langsam wieder normal zu atmen. »Eine alte Frau, die glaubt, daß das Böse eine ansteckende Krankheit ist.«
    »Was ist das, das Böse?«
    »Es fängt damit an, daß man nicht rechtzeitig zum Frühstück kommt.«
    Er schenkte mir ein strahlendes Lächeln. »Du bist wirklich ein Komiker. Tut mir leid wegen der lästigen Prozedur, aber du wirst sie verstehen, wenn ich dir gezeigt habe, worum es hier geht.«
    Ich drückte die Zigarette in dem Ascher auf dem Schreibtisch aus. Der Schreibtisch interessierte mich nicht, aber die Bildschirme. Acht Videokameras auf dem Gelände. Malzan stand so, daß mir der Blick versperrt war.
    »Wenn ich Shiva jetzt sprechen könnte«, sagte ich, »wäre ich schon zufrieden. Mich interessiert nur mein Job.«
    »Aber Harder, du als Journalist! Nein, jetzt, wo du einmal hier bist, bekommst du auch alles zu sehen. Aber erst mal ein Drink. Tut gut bei der Kälte.«
    Mir klebte das Hemd am Leib, aber ich nickte. Einen Drink konnte ich bestimmt gebrauchen, auch wenn ich Whisky nicht besonders mag. Er goß uns beiden ein reichliches Quantum ein.
    »Auf dein spezielles Wohl, Harder.«
    Malzans Manieren waren so untadelig wie sein Äußeres. Er trug einen schwarzen Blazer mit einem weißen Hemd und dunkelblauem Seidenschal, dunkelgraue Hosen und Reitstiefel, deren frisch gewichstes Leder das Licht reflektierte. Seine Gürtelschnalle war versilbert – zwei Schlangen, deren Köpfe und Schwänze ineinander verschlungen waren. Stil blieb Stil.
    Ich nahm einen vorsichtigen Schluck. Nicht schlecht. Ein angenehmes Kribbeln in den Eingeweiden. Aber zu viel Kribbeln war auch nicht gut. »Wann kann ich Shiva sehen?«
    »Sie ruht sich jetzt aus«, sagte Malzan. »Hast du es so eilig?«
    »Du weißt doch, immer auf dem Sprung.«
    »Beschäftigungstherapie. Vielleicht können wir dir davon etwas bieten. Wie bist du übrigens hergekommen?«
    »Mit dem Bus, behauptet er«, zischte Albin.
    Ich ahnte, was kam. Schlampige Recherche, Harder. Malzan gab mir wortlos den Blick frei, und ich starrte direkt auf einen Bildschirm, auf dem – in griesigem Grau, aber deutlich genug – das Ende des Schotterweges zu sehen war, Jades alter Volvo und die Scheinwerfer über der Mauer.
    »Ein seltsamer Bus«, meinte Malzan und zog an seiner Zigarre.
    »Blöde Fragen, blöde Antworten«, sagte ich mit einem Achselzucken. »Ihr könnt euch doch denken, daß ich nicht ohne Verstärkung komme. Nicht nach solchen Anrufen, Albin.«
    »Fährt er jetzt tanken, oder was macht er?«
    Ich traute meinen Augen nicht. Der Volvo fuhr an, schaltete das Licht ein und bog auf den Weg ein, der an der Laubenkolonie vorbei über die Chaussee nach Lübars führte – zurück in die Stadt.
    »Starke Verstärkung«, flüsterte Albin.
    »Mach keine faulen Witze, Albin«, sagte Malzan. »Vielleicht haben wir gerade das Ende einer schönen Freundschaft erlebt.« Und zu mir: »Ich kann das verstehen, Harder. Wenn man da draußen direkt vor der Mauer allein im Auto sitzt und die Kälte kriecht herein und die Gedanken an das, was einem eventuell passieren kann – man kann es einem Mann nicht übel nehmen, wenn er sich dann an die Prioritäten erinnert.«
    Ich steckte mir eine Zigarette an. »Er wird wiederkommen, Mike.«
    Er hob sein Glas. »Wenn er kommt, mußt du ihn aber hereinbitten, Harder. Auf der ›Farm für Freie Entfaltung‹ wissen wir, was wir Gästen schuldig sind.«

32
    »Früher war hier eine Hundedressurschule«, erklärte Malzan und trat vor mir in den langen schmalen Gang, der die drei Baracken verband, »deshalb dieser Geruch.«
    »Haben die, die da draußen heulen, Sehnsucht nach der Schule?«
    »Wir haben Vollmond, Harder. Nach der Hundeschule kam dann ein Reizwäscheversand, einer von denen, die Originalmieder aus den fünfziger Jahren anbieten und Dessous für Übergrößen und Stöckelschuhe mit 20-Zentimeter-Absätzen für die Schuhfetischisten. Aber die haben ihren Bedarf inzwischen gedeckt oder sind auf härtere Sachen umgestiegen, und wir haben noch einen ganzen Raum voll mit dem Plunder.«
    »So etwas kommt bestimmt wieder.«
    Wir waren jetzt in der mittleren Baracke, und Malzan schloß eine Tür auf und ließ mich einen Blick hineinwerfen.

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