Das Schlangenmaul
fürs Leben, nicht für die Bühne. Ich war in jedem Milieu Außenseiter, sobald du die Leute durchschaust, bist du ein Außenseiter, selbst als Koksdealer war ich Außenseiter, ich hab das Zeug nie angerührt, ich hab Zigarren geraucht, wie Papa. Und dann erst in Hannover. In Hannover dachte ich, hier kannst du Minister werden und bleibst trotzdem Außenseiter.«
»Warum Hannover?«
»Ich hab eine Schwäche für diese kühlen Blondinen.«
»Wie Nora?«
»Wie Nora.«
»Aber ihre Tochter ist ja eher dunkelhaarig.«
Sein Lächeln fixierte mich durch den Zigarrenrauch. »Bleiben wir in Hannover. In Hannover war ich der Arsch von einem Außenseiter, Harder, und dann hab ich auch noch den Fehler gemacht, in die Gastronomie zu gehen, nur aus Freude am Risiko, und das in dieser Beamtenstadt.«
»Aber die Versicherung wird doch bezahlt haben, ich meine, für die abgebrannte Bar?«
»Pfennige, verglichen mit dem, was ich investiert habe.«
»Immerhin hattest du das Startkapital für Berlin.«
»Ich bin vor einem Jahr mit Handgepäck hier angekommen.«
»Wenn wir etwas gemeinsam haben, Mike, dann ist es doch, daß wir beide überall nur mit Handgepäck ankommen – und mit Handgepäck verschwinden.«
»Du machst Fortschritte«, sagte er grinsend. »Du stellst schon Gemeinsamkeiten fest.«
»Ich habe sicher auch Gemeinsamkeiten mit Ronald Reagan«, sagte ich und nahm noch einen Schluck Whisky. »Aber verlassen würde ich mich an seiner Stelle nicht darauf.«
Er starrte mich an. »Sehr komisch«, sagte er. »Jedenfalls bin ich nicht nach Berlin gekommen, um mit Scheiße beworfen zu werden. Oder um die Scheiße zum Mythos zu verklären.«
»Sondern um aus Scheiße Gold zu machen.«
»Das trifft es schon eher, Harder. Die vier Ks, die bringen es in Berlin.«
»Kommunismus, Kommerz, Kant, Karajan?«
»Kunst, Kult, Kommunikation und Korruption.«
»Wäre ich nie drauf gekommen. Und wie macht man das?«
Er stand auf und stellte sich neben dem Fenster in Positur, nur die Reitgerte fehlte ihm noch.
»Berlin«, erzählte er, »ist nicht mehr die Weltstadt, von der alle noch reden, Berlin – New York, Weltstadt, was ist das denn heute? Eine City, die nach Luft schnappt, und ringsherum eine Kloake, wo die Ratten besser leben als die Menschen, Servus. Berlin ist ein Kunstgebilde, Harder, ein künstlich am Leben gehaltenes Symbol, ein Mythos am Tropf, aus sich selbst nicht lebensfähig, eine Subventionsmaschine, eine Schmiergeldmetropole. Berlin ist die Große Korruption.«
»Korruption ist heute doch Konsum, Sonderangebot, der Restposten für 99 Pfennige.«
»Platt, banal, ausgewalzt«, gab er zu. »In Bonn, in Bückeburg, in Berchtesgaden. Langt noch nicht mal zum Vorabendprogramm zwischen den Werbeblöcken. Aber in Berlin ist sie noch der Spielfilm zur Hauptsendezeit, höchste Einschaltquote, das große K, verstehst du, Korruption als Kult, als Kommunikation, als Kunst.«
»Vielleicht ist deshalb Berlin auch die Stadt, wo man immer einen Drink zu viel nimmt«, dachte ich laut nach. Und das brachte ihn – wie ich gehofft hatte – noch mehr in Fahrt.
»Ja, die Stadt der Verlierer ist Berlin natürlich auch. Als ich vor einem Jahr kam und die Frenkel kennenlernte bei einem Festival der Freien Theatergruppen, Harder, hatte sie eine 2 Vi-Zimmer-Wohnung mit Ofenheizung in Neukölln, zwei Kobras, die in einem Terrarium hausten, das ungefähr so groß wie ein Goldfischglas war, einen Verlobten, der sich hier illegal aufhielt und seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Currypulver und Räucherstäbchen finanzierte, und eine Gemeinde von drei oder vier pickligen und von der Stütze lebenden Jüngern, und das große Ziel war eine Reise nach Amsterdam, weil es da noch eine Therapie-Theater-Gruppe gab, die sich dem indischen Tempeltanz verschrieben hatte. Ich erzähle das nicht, um zu renommieren, Harder, mich interessiert das ohnehin nur am Rande, ich erwähne es nur, um dir zu erklären, wie schnell man in Berlin zu etwas kommen kann, wenn man begriffen hat, wie hier der Hase läuft – und das dann auch rücksichtslos durchsetzt. Heute ist Frau Dr. Gesine Frenkel-Ahimsa eine der umstrittensten Psychotherapeutinnen in der Stadt, eine Frau, die nicht nur in der Kultur- und Therapieszene manches bewegt, sondern auch in der Friedensbewegung, ihr Mann hat ein Touristikunternehmen, ein Import-Export-Geschäft, und seine Gruppenreisen nach Madras zu den Schlangenkulten und nach Karatschi zu den Krokodiltempeln sind bis
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