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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Fauser
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Weihrauchgeschwängerte Luft. Teppiche satt. Vergoldete Kandelaber. Eine Art Altar mit einem Granitblock und einem vergoldeten Buddha. Arabische Sitzkissen. An den Wänden Drucke mit indischen Göttern, Reiseplakate mit dem Taj Mahal – »Come by Magic Air« – und Bilder. Original Zernul, soviel ich sehen konnte.
    »Der Kultraum«, erklärte Malzan. »Für Vorträge, Meditationsübungen, Schlangentanz.«
    »Ich würde die Touristikplakate abhängen«, sagte ich. »Stell dir vor, im Petersdom hingen Plakate der Alitalia.«
    »Orientalen sehen das nicht so eng.«
    »Könnte Frau Dr. Frenkel-Ahimsa dir nicht einen Teppich für das Büro abtreten?«
    »Ihr Gewerbe hat viel mit dem Schein zu tun«, sagte Malzan und schloß wieder ab, »und mein Gewerbe mehr mit dem Sein.«
    Wir wanderten den langen Mitteltrakt hinunter. Karges Licht. Soweit ich sehen konnte, eine Kamera. Die Außenfenster vergittert, dann noch Maschendraht. Malzan sperrte eine Tür am Ende des Korridors auf. Außen war eine Sichtklappe, und als er mit seiner Stablampe hineinleuchtete, zuckte ich zusammen. Schmale Pritsche, Waschschüssel, Aborteimer, Holzhocker, ein Streifen Mondlicht auf dem Gitter vorm Fenster. Darüber ein Kameraauge.
    Ich trat meine Zigarette aus und sah Malzan an. »Mit der freien Entfaltung ist es hier aber nicht mehr weit her«, sagte ich. Meine Stimme wurde immer heiserer.
    »Im Gegenteil«, sagte er. »Manche Menschen müssen in eine Zelle, um sich wirklich frei zu entfalten.«
    »Ein therapeutisches Angebot?«
    »Alles, was du hier siehst, ist ein Angebot. Ich biete den Service. Was die Leute daraus machen, ist ihre Sache.«
    Er knipste die Stablampe aus und schloß die Tür ab. »Und jetzt zeige ich dir die Schlangen. Wir haben hier mehr Giftschlangen als der Berliner Zoo, Harder.«
    »Zoos haben mich immer depressiv gemacht.«
    »Ein Vorurteil.«
    »Wie Gefängnisse.«
    »Selbst schon gesessen?«
    Wir bogen links ab in die dritte Baracke.
    »Ein paar Tage.«
    »Ich auch nicht. Aber man muß auf alles vorbereitet sein.«
    »Zum Training hast du ja hier Gelegenheit.«
    »Meinst du, Harder?« Er blieb stehen und sah mich an. »Die Zelle ist fast immer belegt. Und jetzt betreten wir – würde Frau Dr. Frenkel-Ahimsa sagen – das Reich des Mythos.«
     
    Ein langer gekachelter Schlauch, der den größten Teil der Baracke einnahm. Weißes Neonlicht. Kühl temperierte Luft. Und an der rückwärtigen Längswand die Terrarien – große, beheizte Glaskästen, deren Oberseite aus feinstem Maschendraht bestand. An der Vorderseite verschließbare Schiebetüren, manche mit Schlössern gesichert. An die giftigsten Exemplare durfte nur der innerste Kreis der Gemeinde. Und fünfzig Meter dahinter die Flutlichtanlage des real existierenden Sozialismus.
    Es gab eine einzige Tür und kein Fenster im Reich des Mythos.
    »Wie viel Schlangen habt ihr?«
    »Im Moment sind es sechzehn, Harder, davon elf Giftschlangen.«
    Er streifte ein paar Lederhandschuhe über und ergriff einen Metallstab mit einer Gabel an einem Ende.
    »Da könntet ihr ja schon Eintritt nehmen. Schlangenzoo Lübars, Kinder und Künstler die Hälfte.«
    »Wir sind alles andere als ein Zoo, mein Lieber. Wir stellen die Tiere nicht aus, wir arbeiten mit ihnen.«
    »Das sagen die Gefängniswärter überall. Aber profitieren tut ihr doch auch von ihnen?«
    »Im Gegensatz zum Zoo leben wir nicht von der öffentlichen Hand. Wir sind ein rein marktwirtschaftliches Unternehmen. Willst du jetzt die Schlangen sehen?«
    »Ich kann es kaum abwarten.«
    Aber als erstes entdeckte ich die Kameraaugen. Sie waren in die beiden Lüftungsschächte eingelassen, so daß sie die mittlere Sektion der Terrarien von der Richtung der Tür und die gesamte Reihe von der Seite her aufnahmen. Ich wollte mir eine Zigarette anmachen, aber Malzan untersagte es.
    »Tut den Tieren nicht gut, Harder.«
    »Wem gehören die eigentlich?«
    »Dem Institut.«
    »Und wem gehört das Institut?«
    »Wir sind dem genossenschaftlichen Gedanken verpflichtet. Das sind ägyptische Uräusschlangen. Sieh dir mal die wunderbare Färbung der Schuppen an …«
    Malzan schien tatsächlich von Schlangen fasziniert zu sein, und ich konnte ihn verstehen. Wenn schon Mythen, dann solche – kühle, schlanke, biegsame Körper in den Farben glasierter Mosaike, ewig geöffnete, kalte, glitzernde Augen, blitzschnelle gespaltene Zungen, und im Maul Zähne, durch deren Rinnen in Sekundenbruchteilen das tödliche Gift spritzt. Die Ahimsa

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