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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Nähe herumzutreiben, da es sich um eine Sache der Gerichtsbarkeit und nicht um eine Hip-Hop-Show handele.
    Das bedeutete für uns, dass wir uns entfernen mussten.
    Wir trieben uns noch eine Weile in der Nähe herum und rätselten, auf welche Art und Weise Tien hingerichtet werden sollte. Lion ging davon aus, dass er erschossen werden würde, da auf dem Gerüst weder ein Galgen, noch Handwerker, die ihn aufrichteten, zu sehen waren. Ich war der Meinung, dass er geköpft würde. Das alles brachte uns jedoch überhaupt nicht weiter, da beim Anblick des Platzes klar wurde, dass sich hier ungefähr fünfzigtausend Menschen versammeln würden. Auch ein Schlangenschwert würde uns nicht helfen können, den Phagen zu retten. Selbst wenn der mutige Industrielle Semetzki mit seinen Mädchen erscheinen würde, wäre Tien nicht zu retten.
    »Wir sehen lieber nicht zu«, schlug Lion vor. Er war irgendwie enttäuscht und wurde nervös. »Ich möchte so etwas nicht erleben!«
    Ich dachte nach. In meiner Brust breiteten sich Kälte und Widerwillen aus. Ich hatte überhaupt kein Interesse daran, die Hinrichtung mitzuerleben. Die Erinnerung daran war wach, wie wir in Tiens Raumschiff am Tisch gesessen waren, Abendbrot gegessen hatten und er alle möglichen, sicherlich ausgedachten, Phagengeschichten erzählt hatte, denn wer würde uns schon die wirklichen Geheimnisse verraten? Trotzdem hatten wir es interessant gefunden und gelacht.
    »Es wäre feige, wenn wir nicht hingehen würden«, äußerte ich. »Er ist doch hier ganz allein. Tien schaut auf den Platz und dort sind nur Feinde.«
    »Glaubst du, dass er uns sehen wird?«, fragte Lion und sah sich zweifelnd auf dem Platz um.
    »Er wird es fühlen. Er ist ja ein Phag.«
    Lion nickte und biss die Zähne zusammen.
    »Wir müssen hingehen«, wiederholte ich.
    Bis zur Hinrichtung verblieben noch vier Stunden. Wir schlenderten noch einmal durchs Zentrum. Hier war es sehr schön. Die Häuser unterschieden sich voneinander und ähnelten sich nicht so wie in den Wohngebieten. An kleinen Ständen wurde mit allen möglichen Dingen gehandelt, Cafés hatten geöffnet, obwohl in ihnen wenig Gäste saßen. Wir wollten weder essen noch trinken, noch konnten wir uns an der Stadt erfreuen.
    »Und wenn unter dem Platz ein Kanalsystem ist?«, brütete Lion eine Idee nach der anderen aus. »Dort hineingehen, bis zum Gerüst kriechen... nein, das ist Blödsinn. Am Besten wäre es, einen Flyer zu entführen...«
    Das alles war sinnlos. Wir wussten es beide. Wir konnten nichts machen, außer auf den Platz zu gehen und die Hinrichtung anzusehen.
    »Ist das schlimm, wenn ein Mensch stirbt?«, wollte Lion wissen.
    »Du hast das doch schon in deinen Träumen gesehen«, konnte ich nicht an mich halten. »Wie ich gestorben bin, zum Beispiel.«
    »Das war im Traum«, erwiderte Lion trübselig. »Und in echt? Dieser Spion, den Stasj getötet hat?«
    »Es war fürchterlich«, gab ich zu. »Wenn jemand stirbt, ist das schlimm. Aber damals fing ja das ganze Durcheinander an. Deshalb war ich abgelenkt. Und die eine Sache ist ein Spion, der mich töten will, Tien ist eine andere.«
    »Was glaubst du, ist das eine Lüge mit der Beulenpest?«
    »Eine Lüge!«, sagte ich mit Bestimmtheit.
    Obwohl ich tief in meinem Innersten zweifelte. Vielleicht stimmte es doch? Denn die Phagen dienen dem Imperium an sich und nicht einzelnen Individuen oder auch Tausenden Menschen. Wenn ein Phag den Befehl erhält, wirft er auch eine Bombe auf einen Planeten und verseucht Wasserleitungen mit Viren.
    Nach einer Stunde waren wir völlig ausgelaugt und begaben uns auf den Platz. Die Menschen kamen zuhauf. Bis sechs Uhr abends war fast niemand da, danach schien es, als ob sich Schleusentore geöffnet hätten und die Leute von überall herströmten. Offensichtlich ging der Arbeitstag zu Ende.
    Zuerst kamen Männer und Frauen in streng geschnittenen Anzügen, Mitarbeiter der Regierungsbehörden. Dann erschienen eher sportlich gekleidete Menschen, wahrscheinlich aus der privaten Wirtschaft. Danach Arbeiter aus den Betrieben, die eine lange Fahrt ins Zentrum hatten. Sie waren einfach zu erkennen.
    Gegen sieben Uhr schien der Platz schon voller Menschen, trotzdem trafen immer neue ein und die Massen begannen sich zusammenzudrängen. Lion und ich wurden bis zum Gerüst vorgeschoben, obwohl wir gerade dorthin nicht wollten. Viele Erwachsene schauten uns unwillig an, forderten uns jedoch nicht auf wegzugehen. Es war klar, dass man aus so einer

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