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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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dass es zwecklos war, wegen Lions Eltern nachzufragen. Und wegen seines stillen, schweigsamen Schwesterchens und seines unruhigen Brüderchens auch.
    Trotzdem fragte ich:
    »Und wenn wir noch...«
    »Auf diesem Planeten«, wiederholte Stasj müde, »gibt es Millionen von Kindern, die dieses Leid getroffen hat. Man kann allem oder keinem helfen. Ich habe mich schon bereit erklärt, deinen Freund mitzunehmen, Tikkirej.«
    »Ich werde ihn selber tragen«, sagte ich mutig.
    »Wohl kaum«, meinte Stasj und ließ seine Tasche fallen, »kriegst du sie weg?«
    Ich hob sie an. Sie war schwer, aber entschieden leichter als Lion. Das war offensichtlich.
    »Ja. Natürlich.«
    Mit wenigen Bewegungen wickelte Stasj Lion in eine Decke und warf ihn sich über die Schulter. Schweigend ging er hinaus.
    »Verzeiht«, sagte ich zu dem kleinen Jungen und dem kleinen Mädchen, die in ihren Betten einen seltsamen, nicht menschlichen Schlaf schliefen, »verzeiht uns, bitte.«
    Mein Köfferchen stand auf der Schwelle, ich schnappte es mir ebenfalls. Gebückt unter der Last folgte ich Stasj. Wir gingen an einigen Autos vorüber, ehe Stasj auf einen bescheidenen Jeep zuging. Er öffnete die Tür – das Schloss gab keinen Piepser von sich, machte sich eine Sekunde lang an der Kontrolleinheit zu schaffen und die Blockade erlosch. Lion legte er auf den Rücksitz und nickte mir zu: »Steig ein!«
    Ich setzte mich neben Lion und legte seinen Kopf auf meine Knie, damit er nicht so wackelte. Er befand sich nach wie vor in einem tiefen Schlaf.
    »Was ist mit ihm, Kapitän Stasj?«
    Das Auto heulte auf und fuhr auf den Weg, der durch das gesamte Motel führte.
    »Er ist im Stadium der Wiedergeburt, Tikkirej«, antwortete Stasj lustlos. »Nach unseren Informationen erfasst dieser fünfzehn Stunden dauernde Schlaf die gesamte... fast die gesamte Bevölkerung der von Inej angegriffenen Planeten. Danach schließen sie sich freiwillig Inej an.«
    »Kann man ihm helfen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Das Auto erreichte die Straße, aber zu meiner Überraschung fuhr Stasj nicht zum Kosmodrom, sondern Richtung Stadt.
    »Warum fahren wir dorthin?«, fragte ich erschrocken. Ich wollte nur weg, meinetwegen zurück zum Karijer, aber weit weg von Neu-Kuweit.
    »Ich möchte einen Blick auf den Sultanspalast werfen. Gestern wurde auf meinen Rat hin die Schutzfeldkuppel eingeschalten. Vielleicht konnte sich die Regierung retten. Dann besteht eine Chance, die Flotte zu Hilfe zu rufen.«
    »Sie kennen den Sultan persönlich?«, fragte ich verwundert.
    »Ja.«
    »Kapitän Stasj, heißt das, Sie hätten einfach darum bitten können, dass man mir die hiesige Staatsbürgerschaft gibt?«
    »Ich beschäftige mich nicht mit der Klärung unwichtiger Probleme kleiner Jungs«, erwiderte Stasj müde. »Wenn du glaubst, dass ich während meiner Unterredung mit dem Sultan an deine Existenz gedacht hätte, dann machst du dir etwas vor.«
    Ich schwieg, umarmte Lion und hielt ihn fest. Die Straße war hervorragend und Stasj ein guter Fahrer, aber er fuhr mit so hoher Geschwindigkeit, dass wir trotzdem von einer Ecke in die andere geschleudert wurden.
    »Es gibt da ein Buch, ›Don Quichotte‹«, meinte Stasj plötzlich. »Dessen Held hielt es für nötig, alle Ungerechtigkeiten, die er auf seinem Weg antraf, zu beseitigen. So schlägt zum Beispiel ein böser Meister den kleinen Jungen, der bei ihm in Dienst stand. Also muss Don Quichotte diesen Herrn bestrafen und danach fährt er weiter. An das, was passieren wird, wenn der Meister wieder mit dem Kind allein ist, daran dachte der naive Ritter nicht. Ist die Analogie verständlich?«
    »Ist der Sultan etwa so bösartig?«
    »Nein, aber seine Geheimdienste sind argwöhnisch. Da sie mein Vorstoß überraschte und verwunderte, bedachten sie mich mit einer so großen Aufmerksamkeit, dass auch du irgendwann vor Verzweiflung die Wände hochgegangen wärst! Und zweitens, ich beschäftige mich nicht...«
    »... mit der Klärung unwichtiger Probleme«, beendete ich. »Danke, Kapitän Stasj.«
    Wir fuhren in die Stadt. Wohngebiete mit niedrigen, vielleicht zehn- bis zwölfgeschossigen Häusern zogen sich dahin. Scheinbar war hier alles beim Alten – die Straßenlaternen und Reklametafeln leuchteten, fast alle Fenster waren hell erleuchtet.
    Laut rief ich: »Sehen Sie nur, Stasj, hier ist alles in Ordnung!«
    Und wirklich, fast in jedem Fenster waren Menschen zu sehen. Sie waren festlich gekleidet, tanzten oder tafelten, unterhielten sich am

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