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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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glaub mir. Und noch Sachen, die schlimmer sind als einfache Morde.«
    Ich wandte mich ab. Der tote nackte Mann mit dem verbrannten Stumpf an Stelle der Hand hing an der Wand, aufgespießt wie ein Schmetterling in einer Sammlung.
    Selbst wenn Stasj Recht hatte und er ein Bandit war, man konnte doch einen Banditen nicht ohne Gerichtsverfahren töten! Was ist er denn dann noch für ein Ritter?
    »Tikkirej...« Der falsche Ritter kam auf mich zu und fasste mich an die Schultern. Er verstand, was mir im Kopf herumging. »Du wirst dich noch davon überzeugen können, dass ich Recht hatte. Mit Sicherheit. Aber jetzt rufe ich dir ein Taxi, du suchst deine Sachen zusammen und fliegst weg.«
    »Wohin?«, flüsterte ich.
    »Das versuche ich jetzt herauszufinden. Du brauchst einen jungen, guten und gastfreundlichen Planeten. Einen mit Wäldern, Bergen und Meer. Wo man arbeiten und lernen kann und sich nicht mit solchen Problemen herumschlagen muss, die dem Glück entgegenstehen.«
    »Aber warum soll ich denn wegfliegen!«, rief ich aus, »mir gefällt es hier, ich habe hier Freunde!«
    »Hast du gehört, was dir Karl geraten hat?«
    »Ja...«
    »Deshalb fliegst du auch weg. Neu-Kuweit wird in kürzester Zeit von Inej erobert werden.«
    Ich äußerte mein Unverständnis.
    »Das ist doch ein reicher Planet, hier ist die Flotte des Imperiums im Orbit! Keine Kolonie wird gegen das Imperium putschen!«
    »Ja, aber im letzten halben Jahr haben sich vier Planeten der Föderation des Inej angeschlossen. Große, reiche und blühende Kolonien. Wirst du meinen Rat befolgen, Tikkirej?«
    Mir war ganz elend zumute.
    »Ja, Kapitän Stasj.«
    »Geh und such deine Sachen zusammen. Aber schnell, ja? Ich ruf ein Taxi und sehe mir den Flugplan an.« Ich hatte kaum etwas einzupacken: ein Foto, das ich bereits auf den Tisch gestellt hatte: ich mit meinen Eltern vor zwei Jahren in der städtischen Orangerie vor einem Rosenstrauch. Ein Handtuch, das ich ins Bad gehängt hatte, damit es etwas heimischer aussah. Den Pocket-PC, den ich ans Terminal angeschlossen hatte. Und meine alte, dumme Kinderuhr in Form eines Roboters.
    Aus unerfindlichen Gründen ging ich noch einige Minuten im Zimmer umher und schaute in Schränke und Regale. Ich bemerkte gar nicht, dass ich dabei schluchzte, nicht weinte, sondern schluchzte – ohne Tränen. Ich hatte mich doch schon in meinem Häuschen eingelebt...
    Und was wird aus Lion?
    Ich verschloss meinen Koffer, schlug die Tür zu und ging schnell zum Cottage, in dem Lions Familie wohnte. Es war still, sogar aus dem hell erleuchteten Restaurant kam kein Laut. Alle hatten sich schon zurückgezogen und schliefen seit langem. Ich musste mich aber doch von Lion verabschieden... und ihn warnen. Das heißt, nicht Lion selbst, sondern seine Eltern.
    Auf mein Klingeln reagierte niemand. Anfangs klingelte ich höflich, kurz – um deutlich zu machen, dass es spät war und ich mir dessen bewusst war. Dann behielt ich den Finger auf dem Sensor und hörte, wie sich drinnen die Klingel überschlug.
    Niemand öffnete. Waren sie etwa verreist?
    Und Lion wollte mir nichts davon sagen?
    Ich ließ den Koffer vor der Tür stehen und ging um das Cottage herum. Das waren die Fenster des Zimmers, in dem Lion mit seinen Geschwistern schlief. Eines war angelehnt.
    Ich sprang hoch, hielt mich am Fensterbrett fest, zog mich nach oben und kroch leise ins Zimmer. Oh, wenn jetzt bloß nicht Lions kleiner Bruder wach wird und zu schreien beginnt...
    Im Zimmer herrschte Halbdunkel – an der Wand leuchtete ein Nachtlicht in Form eines Dinosauriers. Was es nicht alles gibt, ich hätte bei einem solchen Nachtlicht vor Angst nicht einschlafen können.
    Sowohl Lion als auch sein Bruder und sein Schwesterchen schliefen. Ich setzte mich zu Lion ans Bett, rüttelte ihn an der Schulter und sagte flüsternd:
    »Ich bin es, Tikkirej. Wach auf!«
    Er schlief ja wie ein Stein!
    »Lion!«
    Von meinem Rütteln pendelte sein Kopf auf dem Kopfkissen schon hin und her. Aus dem halb offenen Mund floss ein Speichelfaden. Lion wurde nicht wach.
    In kopfloser Panik warf ich mich auf das Bett seines Bruders. Zog ihm die Decke weg, hob ihn hoch und schüttelte ihn. Jeder andere Junge wäre davon aufgewacht!
    Aber Lions Bruder hing in meinen Armen wie eine Wattepuppe. Seine Schlafanzughosen waren nass und seine Stirn schweißbedeckt.
    »Mister Edgar! Missis Anabell!«, rief ich, legte das Kind aufs Bett zurück und deckte es – warum auch immer – mit der Decke zu. »Kommen

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