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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Kaminfeuer. Sie schmückten Weihnachtsbäume oder bauten Raketenmodelle zum Tag der Raumfahrt...
    Ich schüttelte den Kopf und verstand die Welt nicht mehr.
    »Du bist auf einem äußerst zurückgebliebenen Planeten aufgewachsen, Tikkirej«, sagte Stasj sanft. »Das sind Projektionsfenster, sie kamen vor ungefähr zehn Jahren in Mode. Auf Neu-Kuweit ist fast jedes Haus damit bestückt. Verstehst du, du zeichnest auf dein Fenster irgendeinen schönen und bedeutenden Feiertag auf, eine Hochzeit, Silvester, Geburtstag, und dann überträgt dein Fenster abends diese Bilder. Jeder ist bestrebt, seiner Umgebung zu zeigen, wie gut er feiern kann, wie schön und gemütlich es bei ihm ist. Wem es an eigener Phantasie oder an eigenem Können mangelt, um eine behagliche Atmosphäre zu schaffen, der bestellt die Bilder bei einem Designer.«
    »Aha«, meinte ich, »davon habe ich gelesen. Ich habe es schon kapiert. Auf den Straßen sind weder Menschen noch Autos. Überhaupt keine. Es können ja nicht alle schlafen, stimmt’s?«
    Ein Fenster zeigte gerade eine Hochzeit. Eine junge Braut, vielleicht siebzehn Jahre alt, küsste einen ebenso jungen Bräutigam. Das ist eigenartig, denn in Wirklichkeit sind sie schon völlig erwachsene Leute, sie könnten Kinder haben, die älter sind als ich, aber ihre Hochzeit geht weiter. Es wird Hochzeit gefeiert... und sie liegen im Bett und sabbern.
    »Gefällt dir diese Mode?«, wollte Stasj wissen.
    »Nein«, flüsterte ich.
    »Mir auch nicht. Ich mag nicht einmal das gewöhnliche Video, Tikkirej. Auch keine Fotos. Die Erinnerung ist das, was in dir ist.«
    Das Auto bog auf eine breite Allee ein und nach weiteren fünf Minuten erreichten wir den Sultanspalast. Er war sehr schön und sehr groß, bestimmt hat nur der Imperator auf der Erde einen größeren Palast.
    Stasj stöhnte leise. Lange und deftig fluchte er in einer unbekannten Sprache – ich verstand nicht ein einziges Wort, aber es gab keinen Zweifel daran, dass er fluchte.
    »Über allen diesen Türmchen und Kuppeln, Tikkirej«, sprach Stasj, »sollte jetzt ein Kraftfeld blinken. Das ist auch schön, auf seine Art. Und ein absoluter Schutz. Ich habe die Aufklärung von Inej unterschätzt.«
    Das Auto wendete auf der Mitte der leeren Allee und jagte zurück.
    »Und wenn im Kosmodrom auch alle schlafen?«, fragte ich leise.
    »Na, und?«
    »Kann man etwa ohne Erlaubnis des Towers losfliegen?«
    Stasj lachte unlustig auf. Dann sagte er:
    »Die Bedeutung der Worte ›kann‹ und ›kann nicht‹ ändert sich in einer kritischen Situation in ihr Gegenteil.«
    »Kapitän Stasj, aber warum ist mit uns nichts passiert?«, wagte ich eine Frage zu stellen, die mich bereits seit einer halben Stunde quälte.
    »Das weiß ich nicht, Tikkirej. Ich habe einige besondere Fähigkeiten. Du aber bist ein ganz gewöhnlicher Junge. Dabei konnte sich der Agent des Inej für dich nicht unsichtbar machen und die Waffe, mit der sie die Planeten erobern, hat bei dir nicht gewirkt.«
    Ich kam mir vor, als hätte man mich mit eiskaltem Wasser übergossen.
    Ich drückte fest die schlaffe, leblose Hand Lions.
    Und ich dachte... hatte eigentlich fast gedacht, dass Kapitän Stasj auch mein Freund wäre.
    In Wirklichkeit erfüllt er lediglich eine Aufgabe. Er konnte die Agenten des Inej nicht aufhalten, bringt dafür aber zwei Jungs mit. Einen in der »Phase der Wiedergeburt«, beim anderen blieb die Geheimwaffe des Feindes wirkungslos.
    »Wie geht es deinem Freund?«, erkundigte sich Stasj.
    »Ganz gut«, erwiderte ich, »er schläft.«
    »Ich werde jetzt die Geschwindigkeit erhöhen«, teilte mir Stasj mit, als ob wir noch nicht mit annähernd Tempo 200 dahinjagten, »also halt ihn gut fest, okay?«
    Ich antwortete nicht einmal. Aber Lion umarmte ich fester. Die Häuser blitzten auf und entfernten sich, in den erhellten Fenstern wurde getanzt, es aßen und unterhielten sich dieselben Menschen, die bald hilflose Marionetten sein würden.
    Sie würden sicherlich nicht einmal verstehen, was überhaupt passiert war.

Kapitel 6
    Das Kosmodrom war genauso gespenstisch leer wie die Stadt. Hier stießen wir allerdings ständig auf schlafende Menschen: an der Taxihaltestelle, an den Ein- und Ausgängen und in den Securitywachstuben aus mattem, verdunkeltem Glas.
    »Sie sind nicht sofort eingeschlafen«, stellte Stasj fest, nachdem er sich umgeschaut hatte. »Siehst du, nirgends sind gerammte oder beschädigte Autos zu sehen und niemand hat sich beim Hinfallen verletzt. Als

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