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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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rational, mit dem Kopf denken. Dabei würden wir ständig versuchen, uns damit zu rechtfertigen, dass ein Herz nicht denken, sondern lediglich fühlen könne. Das stimmt aber nicht, das Herz denkt auch, aber anders.«
    »Viele sind der Meinung, dass ein Herz nur geschaffen wäre, um Blut umzuwälzen«, murmelte William. Er schien in sich zusammengesunken zu sein, alles Aufgesetzte war verflogen.
    »Sicher hat dein Freund Recht, Tikkirej... Er hat Recht. Ist dir bekannt, dass wir die ganze Zeit über versuchen, alte Schauspiele umzudeuten? Eine moderne Lesart von ›Romeo und Julia‹ ... eine neue Deutung des ›Othello‹. Da muss dann alles stimmig sein. Jede einzelne Handlung. Sowohl der Selbstmord Romeos als auch die Eifersucht Othellos...«
    Er griff nach dem Zigarrenetui, steckte es aber sofort wieder weg und fragte: »Tikkirej, kannst du dir nicht vorstellen, dass ich einfach nach einer Rechtfertigung gesucht habe? Für meinen Wunsch, dir und Lion zu helfen?«
    Ich schüttelte den Kopf:
    »Nein. Entschuldigen Sie, aber das glaube ich nicht.«
    William saß da und starrte vor sich hin.
    »Sie werden ganz bestimmt Erfolg haben«, meinte ich. »Sie haben heute wunderbar mit Rossi gespielt.«
    Er hob die Schultern und murmelte: »Ja. Zuerst habe ich mir überlegt, was und wie ich es machen soll, und danach habe ich mit meinen Sohn herumgetobt... Bestimmt ist mein Herz nur eine Pumpe...«
    »Machen Sie sich keine Gedanken. Es ist außerdem so, dass wir Avalon verlassen werden...«, ergänzte ich.
    William nickte.
    Warum war ich nur so unsensibel? Ich hatte alles versaut!
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Gestatten Sie, dass ich gehe?«
    »Natürlich, Tikkirej.«
    »Falls... Wenn ich zurückkomme, schaue ich bei Ihnen vorbei, einverstanden?«
    William nickte. Als ich den Garten verließ, bombardierte Lion die Gartenpforte vor Langeweile mit Schneebällen. Das gelang ihm sehr gut, sie war weiß vor Schnee.
    »Habt ihr euch ausgesprochen?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Und...?«
    »Nichts«, erwiderte ich. »Hör mal, warum läuft immer alles schief?«
    »Wenn alles glatt läuft, bemerken wir es nicht«, philosophierte Lion. Und wir gingen nach Hause.

Kapitel 5
    Agrabad lag still und friedlich im Licht der aufgehenden Sonne.
    Am Himmel zeichneten sich Flyer ab und die weißblauen Mosaiksteine der Türme glänzten. Ich lag auf dem Bauch, stützte mich auf meine Ellenbogen und schaute mir die Hauptstadt von Neu-Kuweit durch ein elektronisches Fernglas an.
    Ich konnte sogar die Menschen und Autos auf den Straßen erkennen.
    »Alles ist ruhig, Lion«, teilte ich mit. Ich drehte meine Baseballkappe mit dem Schild nach hinten, um mir nicht den Nacken zu verbrennen. »Gehen wir?«
    Lion hockte neben mir und kaute an einem Grashalm. Er zuckte mit den Schultern und meinte:
    »Na los, versuchen wir es.«
    Ich stand auf, säuberte die mit Erde verschmierten Ärmel meines Hemds und wir stiegen zur Straße hinunter. Ein sanfter Abhang führte vom Wald, in dem uns gestern ein Raumschiff der Phagen abgesetzt hatte, zu einer der Hauptstraßen, die vom Kosmodrom kamen. Jetzt war sie wie leer gefegt – auf Neu-Kuweit landeten fast keine Raumschiffe. Blockade...
    »Meine Eltern wollten in die Hauptstadt ziehen«, sagte Lion. »Wenn sie das geschafft haben, werden wir sie suchen.«
    »Unbedingt!«, versprach ich.
    Rund zehn Minuten lang schritten wir auf der Straße entlang. Zwei Jugendliche, nichts Ungewöhnliches. Ordentlich angezogen, sogar etwas gekämmt. Was soll’s, dass sie zu Fuß unterwegs waren?
    Das erste Auto Richtung Stadt verringerte seine Geschwindigkeit, hielt aber nicht an. Schweigend und teilnahmslos musterten uns zwei Männer auf dem Rücksitz, der Fahrer schaute nur auf die Fahrbahn. Dann beschleunigte das Auto und entfernte sich.
    »Treffen wir eine Entscheidung!«, schlug Lion vor. »Irgendetwas gefällt mir nicht.«
    »Mir auch nicht«, stimmte ich zu.
    Seit wir uns auf Neu-Kuweit befanden, waren wir immer und in allen Sachen einig. So, als ob wir Angst hätten, uns zu streiten – sogar wegen der kleinsten Kleinigkeit.
    Wir befanden uns immerhin unter Feinden. Auf dem Territorium des Inej.
    Weitere drei Autos fuhren an uns vorbei. Aber nicht eines davon hielt an, obwohl wir nach Kräften Zeichen gaben. Sie versuchten nicht einmal uns zu mustern.
    »Als ob sie über uns Bescheid wissen würden«, argwöhnte Lion.
    »Genau! Vielleicht sollten wir die Straße verlassen?«
    »Kann sicher nicht schaden«, stimmte Lion

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