Das Schlangental - Neal Carey 3
wild.
Es war dunkel. Neal konnte nicht einmal die Wände der Höhle sehen. Alles, was er erkennen konnte – vielleicht drei oder vier Meter über sich –, waren weiße Schneeflecken. »Ich kann nichts sehen«, flüsterte er dem Alten zu.
Der alte Mann begann, Neal auf die Felswand zuzuschieben.
Aber das schaffe ich nicht, dachte Neal. Er spürte die Felsen. Sie waren eisig und glatt. Er fand keinen Halt, keinen Tritt. Er würde fallen und den Jungen unter sich begraben. Er hörte noch mehr Schreie und Schritte hinter ihnen in der ersten Höhle.
Neal setzte einen Fuß auf den glatten Stein und versuchte, einen höher gelegenen Felsen mit den Händen zu packen.
Cody wollte sich umwenden und nach dem alten Mann greifen. Der Alte hielt ihn einen kurzen Augenblick, dann wandte er sich ab und ging davon. Cody schrie den Schmerz des Verlassenwerdens heraus, schrie seine Einsamkeit heraus, wiederholte immer wieder dasselbe Wort. Zum zweiten Mal in seinem jungen Leben hatte er seinen Vater verloren.
Neal grub seine Hände in das Eis und begann zu klettern.
»Mein Gott, mein Gott, mein Gott«, murmelte Carter, während er die Höhlenmalereien betrachtete. »Jahwe sei Dank, daß ich das noch sehen und erleben darf.«
Vetter rief vom hinteren Ende der Höhle: »Hier sind sie langgegangen, Reverend! Der Rauch weht dort hinten raus!«
Carter stand in der Mitte der Höhle und wirbelte mit ausgebreiteten Armen im Kreis.
»Dies ist der Ort unserer Vorfahren! Dies ist unser Heim!«
Craig rief: »Reverend! Kommen Sie! Sonst verlieren wir Sie!«
Dann entdeckte Carter das Bild des blonden Kindes, das seine Hand zu Gott ausstreckte. »Seht! Seht! Es ist der Sohn Gottes! Es ist das wiedergeborene Kind! Es erhebt seine Arme zu Jahwe!«
Codys Schreie hallten bis zu ihnen in die Höhle zurück.
Carter rannte zu Hansen. »Los! Wir müssen ihn vor dem Drachen retten! Wir müssen ihn vor dem Juden retten!«
Aber Bob Hansen war damit beschäftigt, die Leiche seines Sohnes in seinen Mantel zu wickeln.
Carter rannte durch die Höhle, stieß Vetter beiseite und zwängte sich selbst in den Spalt, der in die nächste Kammer führte.
Craig konnte ihn rufen hören.
»Das Kind Gottes! Das Kind Gottes! Das Kind…«
Dann hörte das Rufen auf.
Craig schob sich ebenfalls in den Spalt.
Cal hörte das Schreien direkt unter sich.
Teufel, dachte er, das kleine Dreckstück lebt. Dieser verrückte kleine Jory hat ihn versteckt. Aber, wer zum Teufel, hat sich um ihn gekümmert?
Er lauschte vorsichtig und hörte etwas, das klang wie Füße, die über die eisigen Steine glitten. Er hörte jemanden keuchen.
Ich könnte einfach in das Loch schießen, dachte er. Aber wenn ich das Kind treffe, dann bin ich echt am Arsch. Er warf sich das Gewehr wieder über die Schulter und zog sein Kampfmesser.
Vielleicht ist es Jory, vielleicht ist es Neal, dachte er. Lieber Gott im Himmel, laß es Neal sein.
Neal klammerte sich mit ausgestreckten Armen und Beinen an die Felsen. Er keuchte dreimal, dann streckte er vorsichtig den rechten Arm nach oben. Seine Finger glitten über den Stein, fanden nichts, keinen Halt. Dann eine kleine Erhebung. Er packte sie mit wunden Fingern und zog sich hoch. Sein rechter Fuß glitt vom Felsen und er zappelte verzweifelt, bis er einen schmalen Spalt in der Oberfläche erwischte. Er zwängte seinen Zeh hinein, hielt sich noch eine Sekunde fest, dann streckte er den linken Arm nach oben. Er ließ ihn über den Fels gleiten, bis er eine Wurzel ertastete. Er packte sie und zog sich noch ein Stück hoch. Er sah auf, Schnee fiel ihm ins Gesicht. Gott sei Dank, dachte er.
Ed ließ sich mit dem Gesicht voran in den Schnee fallen.
Der Sturz ließ den Schmerz durch Joe Grahams Beine zucken. Er biß in seinen künstlichen Arm, um nicht zu schreien, als die Scheinwerferlichter des Lasters langsam an ihnen vorüberglitten.
Taschenlampenstrahlen geisterten um sie herum über den Boden, und Graham hörte den Motor des Lasters. Stimmen riefen: »Siehst du was?« – »Nein!«
Graham konnte Ed unter sich keuchen hören. Während der Schnee auf seinem Nacken gefror und seine Lungen vor Kälte brannten, versuchte er, sich an ein Gebet aus seiner Kindheit zu erinnern. Er wußte noch, daß die Nonnen ihm von einem Gebet »aufrichtiger Reue« erzählt hatten, und von irgendwoher kamen ihm wieder die ersten Worte in den Sinn. Er sagte im stillen: Oh Gott, ich bin von Herzen reuig, mich versündigt zu haben, und ich
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