Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
wurde immer noch flankiert von meinen kleinen Freunden.
»Gehn Sie mal schön auf Ihr Zimmer und schlafen sich aus. Wenn Sie noch einmal solchen Ärger machen, rufe ich die Polizei.«
Ich drehte mich um und ging hinauf. Nirgends eine Spur von Leben in dieser Stadt, in dieser Bruchbude, in dieser müden, ausgelaugten Existenz …
Meine Tür stand offen. Ich ging ins Zimmer. Die Flasche mit dem billigen Wein war nur noch
zu einem Drittel voll.
Hatte ich vielleicht noch eine im Schrank?
Ich öffnete die Schranktür. Keine Flasche. Aber überall Zehn- und Zwanzig-Dollar-Scheine. Ein gerollter Zwanziger lag zwischen zwei schmutzigen Socken mit Löchern in den Zehen. Über einem Hemdkragen hing ein Zehner, und in der ausgebeulten Tasche einer alten Jacke hatte sich ein weiterer Zehner verfangen, doch das meiste Geld lag auf dem Boden. Ich hob einen Schein auf, steckte ihn in die Hosentasche, ging aus der Tür, schloss sie hinter mir ab und ging hinunter in die Bar.
55
Ein paar Tage später kam Becker gegen Abend vorbei. Meine Adresse hatte er wohl von meinen Eltern oder vom College bekommen. Bei der Arbeitsvermittlung im College stand ich unter der Rubrik »Ungelernte Arbeitskräfte« in der Kartei. »Ich nehme jede Arbeit an, ob ehrlich oder nicht«, hatte ich dort angegeben. Keine Angebote. Becker setzte sich auf einen Stuhl, und ich schenkte uns einen Wein ein. Er trug eine Uniform. Marine-Infanterie. »Ich sehe, du bist ihnen auf den Leim gekrochen«, sagte ich.
»Ich hab meinen Job bei der Western Union verloren. Und was anderes gab es nicht.«
Ich reichte ihm sein Glas. »Dann bist du also kein Patriot?«
»Ach Gott, nein.«
»Warum bist du ausgerechnet zu den Ledernacken?«
»Ich hab gehört, wie es bei denen in der Grundausbildung zugeht. Ich wollte sehen, ob ich es
durchstehe. «
»Und das hast du.«
»Ja. Manche von den Kerlen sind total verrückt. Fast jeden Abend gibt es eine Schlägerei.
Niemand geht dazwischen. Sie bringen sich beinah gegenseitig um.«
»Find ich gut.«
»Dann mach doch mit.«
»Ich will nicht in aller Herrgottsfrühe aufstehn müssen, und rumkommandieren lass ich mich
auch nicht gern.«
»Wie willst du hier über die Runden kommen?«
»Ich weiß nicht. Wenn ich pleite bin, geh ich einfach rüber zu den Pennern.«
»Bei denen gibt es aber gefährliche Spinner.«
»Die gibt es überall.«
Ich schenkte Becker noch ein Glas ein.
»Das Problem ist«, sagte er, »dass mir jetzt kaum noch Zeit zum Schreiben bleibt.«
»Willst du immer noch Schriftsteller werden?«
»Na sicher. Und du?«
»Schon«, sagte ich, »aber es ist ziemlich aussichtslos.«
»Du meinst, du bist nicht gut genug?«
»Nein, die sind nicht gut genug.«
»Wen meinst du damit?«
»Liest du nicht die Zeitschriften? Die Sammelbände mit den >besten Short-Stories des Jahres Es gibt mindestens ein Dutzend davon.« »Ja, sicher les ich sie …« »Liest du den >New Yorker >Harper’s >The Atlantic« »Ja …«
»Wir haben 1940, und die drucken immer noch Sachen wie aus dem 19. Jahrhundert. Umständlich, bemüht und gespreizt. Entweder man kriegt Kopfweh, wenn man das Zeug liest, oder man schläft dabei ein.« »Was stört dich denn wirklich daran?« »Es ist ein Trick. Ein Schwindel. Ein kleines Spielchen unter Insidern.«
»Hört sich an, als hätten sie deine Sachen abgelehnt.« »Das weiß ich doch schon im voraus. Warum soll ich mein Geld für Briefmarken verschwenden? Ich brauch es für Wein.« »Ich werde es schaffen«, sagte Becker. »Eines Tages siehst du meine Bücher in den Bibliotheken.« »Komm, reden wir nicht von Literatur.« »Ich hab dein Zeug gelesen«, sagte Becker. »Du bist zu verbittert. Du hast auf alles einen Hass.« »Lass uns von was anderem reden …« »Jetzt nimm zum Beispiel mal Thomas Wolfe …« »Ach scheiß doch auf Thomas Wolfe! Er hört sich an wie ‘ ne alte Frau am Telefon!« »Na gut, wer ist denn dein Star?« »James Thurber.« »Ach, der mit seinem Palaver aus den besseren Kreisen …«
»Der weiß wenigstens, dass alle spinnen.« »Thomas Wolfe steht mit beiden Beinen auf der
Erde …« »Nur Arschlöcher reden über Literatur …«
»Nennst du mich ein Arschloch?«
»Ja.«
Ich schenkte ihm und mir noch einen Wein ein.
»Du bist ein Idiot, dass du diese Uniform angezogen hast.«
»Erst sagst du Arschloch zu mir, und jetzt auch noch Idiot. Ich dachte, wir sind Freunde.« »Sind wir auch. Ich finde nur, du siehst dich nicht vor.«
»Ich seh dich jedes mal mit einem Glas in der
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