Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
richtig!«
    Doch alle waren schon am Gehen, sogar die Mädchen. Das Spiel war offensichtlich vorüber. Ich hing noch eine Weile herum, dann machte ich mich auf den Weg nach Hause … Kurz vor dem Abendessen läutete das Telefon. Meine Mutter nahm ab. Ihre Stimme wurde sehr aufgeregt. Sie legte auf, und ich hörte, wie sie auf meinen Vater einredete. Dann kam sie zu mir ins Zimmer. »Komm mal bitte mit nach vorn.«
    Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch. Meine Eltern saßen in den beiden Sesseln. So war es immer. Sessel bedeuteten, dass man hier zuhause war. Die Couch war für Besucher.
    »Mrs. Mortenson hat eben angerufen. Sie haben Abe den Arm röntgen lassen. Du hast ihm den
Arm gebrochen. «
»Es war ein Unfall«, sagte ich.
»Sie sagt, sie wird uns verklagen. Sie nimmt sich einen jüdischen Rechtsanwalt. Die werden
uns alles wegnehmen, was wir haben.«
»Wir haben ja nicht viel.«
    Meine Mutter war eine von den stummen Weinern. Immer mehr Tränen rollten ihr übers Gesicht. Ihre Wangen begannen im Abendrot zu glitzern.
    Sie tupfte sich die Augen ab. Sie waren hellbraun und hatten einen stumpfen Glanz.
»Warum hast du dem Jungen den Arm gebrochen?«
»Es war ein Pop-up. Wir sind beide nach dem Ball gegangen.«
»Was ist das, ein >Pop-up»Wer zuerst drankommt, der kriegt ihn.«
»Und du hast ihn gekriegt?«
»Ja.«
    »Aber was haben wir davon? Dieser jüdische Anwalt kann immer noch den gebrochenen Arm anführen.«
    Ich stand auf, ging zurück in mein Zimmer und wartete auf das Abendessen. Mein Vater hatte kein Wort gesagt. Er war unschlüssig, was er davon halten sollte. Es machte ihm Sorgen, daß er sein bißchen Hab und Gut verlieren könnte, doch zugleich war er stolz, daß er einen Sohn hatte, der einem den Arm brechen konnte.

    43

    Jimmy Hatcher arbeitete stundenweise in einem Lebensmittelgeschäft. Keiner von uns konnte eine Arbeit finden, doch er jederzeit. Er hatte sein kleines Filmstar-Gesicht, und seine Mutter hatte sagenhafte Kurven. Mit seinem Gesicht und ihrer Figur hatte er keinerlei Schwierigkeiten, eine Anstellung zu finden.
    »Warum kommst du heute Abend nach dem Essen nicht mal bei mir vorbei?« fragte er mich
eines Tages.
»Wozu?«
    »Ich klau denen jede Menge Bier. Ich schaff es hinten raus. Wir könnten das Bier zusammen trinken.« »Wo hast du’s denn?« »Im Kühlschrank.« »Das will ich erst mal sehn.«
    Wir waren etwa einen Block von seiner Wohnung entfernt. Als wir in den Hausflur kamen, sagte er: »Warte mal, ich muss in den Briefkasten sehen.« Er nahm seinen Schlüssel heraus und schloss den Kasten auf. Es lag nichts darin. Er schloss ihn wieder ab.
    »Mein Schlüssel passt auch für den Briefkasten von dieser Frau. Schau her.«
    Er schloss den Briefkasten auf, nahm einen Brief heraus und riss ihn auf. Er las mir den Brief vor: »Liebe Betty. Ich weiß, dass dieser Scheck verspätet kommt, und dass du schon sehr darauf wartest. Ich habe meinen Job verloren. Jetzt habe ich einen anderen, aber das hat eben alles verzögert. Hier ist also endlich der Scheck. Ich hoffe, es geht dir gut. Herzliche Grüße - Don.«
    Jimmy nahm den Scheck heraus und betrachtete ihn. Er riss ihn in kleine Stücke und den Brief ebenfalls. Die Schnipsel steckte er in seine Jackentasche. Dann schloss er den Briefkasten wieder ab. »Komm.«
    Wir gingen in seine Wohnung, und in der Küche machte er den Kühlschrank auf. Er war randvoll mit Bier Dosen.
    »Weiß das deine Mutter?« »Klar. Sie trinkt auch davon.« Er stieß die Tür wieder zu. »Sag mal, Jim, hat sich dein alter Herr wirklich wegen deiner Mutter das Hirn aus dem Schädel geblasen?«
    »Ja. Er hat sie angerufen und ihr gesagt, er hätte eine Pistole in der Hand. Er sagte: >Wenn du nicht zu mir zurückkommst, bring ich mich um. Kommst du zu mir zurück ?< Meine Mutter sagte nein. Da gab es einen Knall, und das war’s dann.« »Und was hat deine Mutter gemacht?« »Sie hat aufgelegt.« »Tja, also dann bis heute Abend.« Am Abend sagte ich meinen Eltern, ich müsste rüber zu Jimmy und einige Hausaufgaben mit ihm machen. Meine Art von Hausaufgaben, dachte ich. »Jimmy ist ein netter Junge«, sagte meine Mutter. Mein Vater sagte nichts.
    Als ich hinkam, holte Jimmy das Bier aus dem Kühlschrank, und wir machten uns an die Arbeit. Es gefiel mir bei ihm. Seine Mutter bediente bis zwei Uhr früh in einer Bar, so dass wir die Wohnung ganz für uns hatten.
    »Deine Mutter hat wirklich ‘ne Figur. Wie kommt es eigentlich, dass manche

Weitere Kostenlose Bücher