DAS SCHLOSS
Wortes zu Brei geschlagen worden. Und erst die Beine. Die Hose des Mannes war im Bereich der Knie ebenfalls von Blut durchtränkt. Selbst durch den Stoff hindurch konnte Jonas die herausstehenden Knochenfragmente der zertrümmerten Kniescheiben erkennen.
Dieser Mensch musste unfassbare Schmerzen haben. Ein Wunder, dass er nicht längst das Bewusstsein verloren hatte. Aber das hatte er nicht. Das Lid seines halbgeöffneten Auges flatterte nervös, während das Auge selbst hektisch umherschaute.
Jonas Blick glitt hinüber zu Vanessa.
„Mein Gott, das ist ja fürchterlich“, flüsterte sie und starrte die Frau an, die mit dem Rücken an der Wand lehnend zu ihren Füßen saß. Sie beide mussten in etwa das gleiche Alter haben. Sie trug verblichene Hotpants und ein vor Dreck starrendes T-Shirt. Ihre Handgelenke waren zusammengebunden und die Fußknöchel steckten in eisernen Manschetten. Eine Stange zwischen beiden Knöcheln spreizte ihre Beine auseinander, so dass sie, abgesehen von dem traurigen Gesamtbild, einen ziemlich aufreizenden Anblick bot. „Hat er euch das angetan?“
„Ah, ich sehe schon, die Familienzusammenführung schreitet voran.“ Kid trat zwischen Vanessa und die andere Frau. „Möchtest du dich unseren neuen Gästen nicht vorstellen?“
Die Frau nickte. Ihr eigentlich hübsches Gesicht sah ebenfalls ziemlich mitgenommen aus. An Mund und Hals klebte getrocknetes Blut. Zwar konnte Jonas es unter den langen Haaren der Frau nicht genau sehen, aber er glaubte zu erkennen, dass ein Stück ihres Ohrläppchens fehlte.
„Sandy. Ich bin Sandy.“
„Und er?“, fragte Kid. „Ich bin mir zwar nicht sicher, ob es sich noch lohnt, aber es wäre doch nur höflich, wenn du ihnen auch deinen Freund vorstellen würdest, oder?“
Sie nickte. „Das ist Ronnie. Es geht ihm ziemlich schlecht, weil…“
„Okay, das reicht. Du musst unseren Gästen nicht mit deinen langweiligen Geschichten auf den Geist gehen. Nicht jetzt. Vielleicht haben wir später ja noch etwas Zeit für ein bisschen Smalltalk.“
Er wandte sich Vanessa zu. „So, jetzt du.“
„Hallo Sandy, ich bin Vanessa. Und das ist Jonas.“
„Na gut, jetzt ist es also doch raus. Eigentlich wollte ich seinen Namen ja gar nicht wissen, aber jetzt ist es auch egal. Seine Zeit läuft sowieso langsam ab.“ Mit seinem Revolver zielte er auf Jonas. „Geht da rüber zu der Couch. Los, macht schon.“
Jonas und Vanessa durchquerten den Raum. Mit langsamen Schritten gingen sie auf das Sofa zu, das Jonas bereits aus seinem Versteck hinter der Tür gesehen hatte.
Wenn er doch nur eine zündende Idee hätte, sie aus dieser misslichen Lage z u befreien. Eins war ihm klar: E r würde nicht mehr viel Zeit haben. Es bestand wohl nicht die Spur eines Zweifels daran, dass dieser Verrückte ihn über kurz oder lang eiskalt aus dem Weg räumen würde. Nüchtern betrachtet hatte er einfach keinen Grund, ihn am Leben zu lassen. Kid - Jonas fragte sich, ob es wohl sein richtiger Name war - war ausschließlich an Vanessa und dieser Sandy interessiert. Und wie zum Teufel hatte er sie und ihren Freund bloß in dieses Verließ geschafft? Selbst mit der Hilfe seines Bruders, war es bestimmt alles andere als einfach gewesen, die beiden zu überwältigen und hierher zu bringen.
Das klickende Geräusch der Revolversicherung riss ihn aus seinen Gedanken.
KAPITEL 52
Sandy saß noch immer auf dem Boden und blickte Jonas und Vanessa hinterher, während Kid ihr den Rücken zuwandte. Er schien sich sicher zu fühlen und nicht im Traum daran zu denken, dass noch irgendeine Gefahr von ihr ausgehen könnte.
Wo hat er die beiden bloß auf einmal hergeholt? Und was haben sie mitten in der Nacht an diesem gruseligen Ort getrieben? Und wo zum Teufel ist dieser andere Verrückte abgeblieben? Sein Bruder.
Eigentlich konnte sie froh sein, dass er scheinbar spurlos verschwunden war. So gab es nur einen Gegner, mit dem sie es aufnehmen mussten. Und sie waren zu viert, also deutlich in der Überzahl. Okay, auf Ronnie konnte sie nicht wirklich zählen.
Sie sah zu ihm hinüber. Er hatte die Augen geschlossen und es war nicht ersichtlich, ob er im Augenblick bei Bewusstsein war, oder nicht. Zumindest war er noch am Leben, wie ihr das gleichmäßige Auf und Ab seines Brustkorbs verriet. Die Blutungen in seinem Gesicht waren inzwischen versiegt, aber unter seinen Knien hatte sich ein blutiger See gebildet, dessen Größe noch immer stetig zunahm.
„Jonas,
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