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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Seidentuch um den Kopf. Ihr rundes Gesicht bekam so einen drallen bäuerlichen Stil, es veränderte sich völlig, wurde fremd, ja geradezu erschreckend alltäglich ohne die Flut der brennenden Haare.
    So fiel sie in Emmendingen nicht auf als sie einkaufte und auch drei Zeitungen mitnahm. Das Bild Sassners jagte ihr einen heißen Schreck durch die Glieder. Sie drückte sich in eine Ecke des Supermarktes und las mit fliegendem Atem die Beschreibung der Polizei.
    Gerd Sassner heißt er also, dachte sie. Er ist kein Arzt, er ist Chemiker. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Eine schwere Gehirnoperation hat er hinter sich, die seine Persönlichkeit verwandelt haben könnte …
    Ilse Trapps ließ die Zeitung sinken und sah sich um wie eine gehetzte Maus. Aber niemand beachtete sie. Die Frauen schoben ihre Einkaufswagen vor sich her, an der Tiefkühltruhe begann eine Diskussion über gefrorenen Spinat, in der Käseabteilung wurden Proben von holländischem Gouda verteilt.
    »… wird begleitet von einer Frau mit auffallend roten Haren und üppigen Körperformen. Alter ungefähr zwischen 25 und 30 Jahren …«
    Ilse Trapps atmete hastig. Instinktiv faßte sie an ihre Haare und seufzte erleichtert auf, als sie das seidene Kopftuch fühlte. Mit zitternden Händen faltete sie die Zeitung zusammen, legte sie zu den anderen Einkäufen und schob dann ihren Wagen weiter von Regal zu Regal wie die anderen Frauen. Ab und zu warf sie einen Blick auf die Verkäuferinnen, auf die beiden Abteilungsleiter, auf ihre Nachbarinnen an den Ständen. Keiner sah sie kritisch an, niemand musterte sie mit Argwohn in den Augen. Mit größter Willenskraft beendete Ilse Trapps ihren Einkauf, zahlte an der Kasse, packte alles in drei große Tragetaschen und verließ mit ruhigem Schritt, wenn auch mit steifen Beinen, in denen die Angst wie Blei hing, den Supermarkt. Erst im Wagen entlud sich alle Anspannung in einem tiefen, langgezogenen Seufzen und in einer minutenlangen Erschlaffung des ganzen Körpers. Sie lag fast auf dem Sitzpolster und starrte bewegungslos auf die Straße und den Parkplatz des Einkaufszentrums.
    Sie suchen uns, dachte sie. Sie suchen uns.
    Angst und Panik vermischten sich bei ihr. Mit größter Selbstbezwingung gelang es ihr, den Motor anzulassen. Als fahre sie zum erstenmal, so langsam und unsicher fuhr sie aus Emmendingen hinaus und fühlte sich erst freier, als sie wieder auf der Chaussee war, die hinein in die großen Wälder führte.
    Wie immer, wenn sie tagsüber unterwegs war, fuhr sie an dem ›Gasthaus zur Eiche‹ vorbei, um zu sehen, ob nicht Autos vor der Tür parkten. Fernfahrer mit ihren großen Lastzügen hatten in den letzten Tagen mehrmals hier angehalten und an die Tür geklopft. Sie kamen monatlich nur einmal diese Strecke herunter und wußten noch nichts von der Geschäftsaufgabe der Trapps. Früher war hier immer eine willkommene Station. Die rote Hexe war allen in bester Erinnerung; sie war nie zimperlich gewesen. Nun war das Lokal geschlossen, aufgegeben. Leer. Tot. Das Haus sah plötzlich baufällig und düster aus.
    »Sie hat dem alten Trapps ja nie Ruhe gelassen«, sagten die Fernfahrer, die sich vor dem geschlossenen Gasthaus trafen. »Wollte immer in die Stadt!«
    Wer wußte schon, daß Egon Trapps als ›Unbekannter‹ der Anatomie der Universität Freiburg zur Verfügung gestellt worden war. Dort lag er auf einem kalten Marmortisch, und junge Medizinstudenten lernten an seinem Körper Muskeln und Sehnen, Blutgefäße und Nerven, Knochen und innere Organe Bestimmen. Noch nach diesen Wochen und trotz Formalinbad, das seinen zerschnittenen Leib konservierte, roch er nach Schnaps. Die Studenten nannten ihn ›Unseren Selbstkonservierer‹.
    An diesem Nachmittag parkte niemand vor dem Haus. Ilse fuhr zurück, stellte den Wagen in die Garage und warf das Tor zu. Dann rannte sie durch den Hintereingang in das düstere Gebäude und rief nach Sassner.
    »Wo bist du?« schrie sie. »Großer Boss … wo steckst du denn? Hallo!«
    Sie rannte durch alle Zimmer, bis ihr einfiel, daß er im Turm sein könnte. Durch die aufgeklappte Falltür sah sie ihn am Fenster sitzen und seinen blauen Vögeln – den Krähen – zureden. Er war guter Laune und half Ilse die enge, steile Leiter hinauf in das winzige Turmzimmer.
    Hier erst riß sie sich das Seidentuch vom Kopf und schüttelte ihre aufgesteckten Haare herunter.
    »Teufelchen, was hast du Schönes eingekauft?« fragte Sassner. Er küßte sie, streichelte ihren

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