Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
eindringlicher Stimme. Die Magie des Seelenarztes begann ihre Ausstrahlung … Sassner spürte es wie einen süßen Hauch. Beseligt schloß er einen Moment die Augen, »ihre Operationen, große Klasse, Herr Kollege. Nur meine ich, waren da einige kleine, geringfügige Fehler. Rein operationstechnisch, nicht im wissenschaftlichen Wert, damit wir uns recht verstehen. Ich hätte zum Beispiel den Schädel anders geöffnet. Es gibt da eine modifizierte Methode …« Sassner, aus dem Fenster hängend, drei Meter über Dorian, strahlte ihn wie ein beschenktes Kind an.
    »Und Sie wollen mir diese Methode zeigen, Herr Professor?«
    »Deshalb bin ich hier.« Dorian wies mit einer großen Geste auf seine Kleidung. »Operationsbereit, wie Sie sehen.«
    »Ich sehe es mit zitterndem Herzen, Herr Professor!« Sassner richtete sich auf. »Was wollen wir drannehmen?«
    »Zuerst Ihre fabelhafte Methode der Auswaschung von Dummheit!«
    »Ist das ein Fortschritt, was?« Sassner dehnte sich. »Jahrtausende quälte sich der Mensch mit der Dummheit herum … und ich wasche sie einfach aus dem Hirn. Da haben Sie gestaunt, Herr Professor!«
    »Allerdings. Ich wäre nicht darauf gekommen.«
    »Sie beschämen mich tief.« Sassners Stimme schwankte vor Ergriffenheit. »Können wir sofort beginnen?«
    »Sofort! Aber nicht vor der Tür. Ich müßte schon in Ihre Klinik kommen, Herr Kollege!«
    Dorian sah Sassner mit gütigen Augen an. Zwei Sekunden lagen ihre Blicke ineinander … Sekunden, die alles entschieden. Dann breitete Sassner die Hände aus.
    »Ich werde diese große Ehre in mein Herz brennen!« sagte er. »Eine kleine Minute, Herr Professor, ich öffne Ihnen die Klinik …«
    Dorian trat an die verriegelte Tür. Im Wald hielt man buchstäblich den Atem an. Was geschah nun? Kam Sassner an die Tür, öffnete er sie wirklich?
    Dorian war völlig ruhig. Er griff nach seinem Mundtuch und schob es hoch. Wenn Sassner öffnete, sollte die Atmosphäre des Operationssaales sofort um ihn sein.
    Im Haus lief Sassner glückstrahlend umher. Luise, die ihm folgte, hatte Mühe, neben ihm zu bleiben.
    »Schwester! Alles vorbereiten!« rief er und schleuderte das Membranstethoskop an den Gummischläuchen um seinen Kopf. »Sofort anästhetisieren und auf den Tisch. Wir können den Herrn Professor nicht warten lassen.« Er blieb stehen und sah Luise aus glänzenden Augen an. »Patient in Ordnung?«
    »Ja«, stotterte Luise. »In Ordnung.«
    »Temperatur?«
    »35,6.«
    »Puls?«
    »120.«
    »Blutdruck?«
    »140 auf 100.«
    »Könnte besser sein, aber wir entlasten ihn ja, wenn der Schädel offen ist.« Sassner klopfte Luise auf die Schulter. »Sie sind mein bestes Stück, Schwester, ich werde es auch dem Herrn Professor sagen. Und nun los! Zeigen wir, was wir können! Schwester, das ist der herrlichste Tag in meinem Leben!«
    Er rannte die Treppe hinab zur Gaststube und zur Tür. Luise blieb zurück. Sie drückte sich an die Wand und weinte.
    Das ist der Abschied, dachte sie. Das ist von allem Glück geblieben.
    Dorian straffte sich, als sich der Schlüssel knirschend im Schloß drehte und die Riegel zur Seite glitten. Die Abendsonne, über die Wälder schwebend wie ein Feuerball, tauchte das Haus und die Tür und Professor Dorian in seiner Operationskleidung in blutrote Farbe. Noch ein Riegel … die Tür sprang auf.
    Mit ausgebreiteten Armen stand Sassner da, den Kopf hoch erhoben und mehr in den blutenden Sonnenball blickend als auf den kleinen Professor Dorian.
    »Willkommen!« sagte er mit Ergriffenheit in der Stimme. »Willkommen im Schloß der blauen Vögel! Treten Sie ein … nur einen Schritt weiter … und mit diesem Schritt lassen Sie ein Jahrhundert hinter sich …«
    Er legte den Arm um Dorians Schulter, strahlte ihn aus seinen glänzenden Augen an und zog ihn hinein in die fahle Dunkelheit des Hauses.
    Mit einem dumpfen, wie ein sattes Schmatzen klingenden Laut fiel die Tür hinter ihnen zu.
    Dorian sah sich um. Sie befanden sich in der Gastwirtschaft mit ihren auf die Tische gestellten Stühlen, dem verstaubten Tresen, den mit Spinnweben überzogenen Flaschen in den Regalen, den geschlossenen Fensterläden. Drei Petroleumlampen erhellten den großen Raum nur dürftig, in der Küche flackerten drei Kerzen; Dorian sah sie durch die hochgeschobene Durchreiche zum Büfett. Im ganzen Haus war ein merkwürdiger Geruch aus Staub, schalem Bier, kaltem Rauch und schimmelnder Bierleitung … säuerlich, faulend, Gestank eines aufgebrochenen

Weitere Kostenlose Bücher