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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Schultern aufgerissen. Aus einem Riß am Hals blutete sie. »Versuchen Sie nicht einzudringen«, sagte sie stockend. »Er steckt das Haus an.«
    »Das hat er mir schon gesagt. Können Sie nicht mit ihm sprechen?«
    »Es hat keinen Sinn mehr. Er ist außerhalb unserer Welt.«
    »Würde er Ihnen etwas antun?«
    »Ich weiß es nicht …«
    Sassner legte seine Hand auf Luises Mund und zog sie an sich. »Hören Sie mal, Herr Ritter für das Recht: Ich habe einen medizinischen Auftrag. Niemanden gibt es, der mich daran hindern könnte, ihn auszuführen. Was ich entdeckt habe, ist der Schlußpunkt hinter der Schöpfung … er fehlte bisher. Die Bilanz Gottes war unvollständig und manipuliert. Daher der Verfall der Menschheit. Wie können Sie es da wagen, mich aufzuhalten? Bringen Sie mir Besseres? Gehen Sie weg, mein Herr. Wenn ich schon diskutiere, dann nur mit einem Mediziner!«
    In Ulrich Quandt sprang ein Gedanke auf wie ein Funken aus einem Feuerstein. Dorian. Professor Dorian. Er war der einzige – das wurde jetzt offensichtlich –, der Sassner aus seinem grauenhaften Haus locken konnte, ohne daß Gefahr für die anderen Bewohner bestand. Alle anderen Versuche – Tränengas, Sturm von allen Seiten, Beschuß – zogen neben Sassner selbst noch unbekannte Opfer nach sich. Das erste Opfer aber würde Luise Sassner sein. Wie Sassner seine Frau umklammert hielt, wie seine Hände um ihren Hals lagen, gab es darüber gar keinen Zweifel mehr.
    »Sie wären bereit, mit einem Arzt zu sprechen?« rief Quandt. Er wunderte sich selbst, daß er noch soviel Kraft in seiner Stimme hatte.
    »Jederzeit.«
    »Auch mit Professor Dorian?«
    »Dorian?« Sassner ließ Luise sofort los und trat wieder ans Fenster. Sein bleiches Gesicht veränderte sich, es schien von innen her zu leuchten. »Mein großer Lehrmeister! Mein Vorbild! Die Fahne, hinter der ich herziehe! Der Stern, dem man nachwandern muß! Würde er kommen? Ist er greifbar? Würde er mit mir über alles sprechen?«
    »Über alles. Er kann in drei Stunden hier sein.« Quandt floß der Schweiß über das Gesicht und die Augen. Aber er wischte ihn nicht ab … er bekam die Hand nicht hoch, sie war zentnerschwer.
    Dorian.
    Der Schlüssel zu Sassners Seele.
    Endlich, endlich hatte man ihn gefunden! Es war wie nach einem Schiffbruch, wenn man endlich nach stundenlangem Schwimmen Land sieht und sich mit letzter Kraft an den Strand wälzt.
    Dorian.
    »Werden Sie warten?« fragte Quandt schwer atmend.
    »Ja.«
    »Ihr Ehrenwort.«
    »Mein Ehrenwort.«
    Sassner hob die Hand, und Ulrich Quandt hatte das Gefühl, daß Sassner sein Wort halten würde. Er wandte sich ab und ging langsam in den Wald zurück, wo die Streitmacht der Polizei wartete, verurteilt, zähneknirschend herumzustehen. Der Oberkommissar empfing Quandt wie einen Verwundeten und hakte ihn unter.
    »Was ist?«
    »Lassen Sie zur Hubschrauberstaffel II nach München-Riem funken«, sagte Quandt müde. »Sie sollen sofort einen Vogel nach Hohenschwandt schicken und Professor Dorian einladen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit muß alles erledigt sein. Es ist unmöglich, Sassner noch eine Nacht mit seinen Opfern allein zu lassen …«
    Zweieinhalb Stunden später landete der Hubschrauber aus München auf der Straße zwischen dem Wald und Sassners Schloß der blauen Vögel. Die rotierenden Flügel, das Donnern der Motoren, der orkanartige Wind, den die Riesenlibelle um sich verbreitete, verscheuchte auch die Krähen vom Dach. Krächzend stiegen sie auf, umflatterten noch einmal das Haus und flüchteten dann weg über den Wald.
    Sassner stand am Fenster, starrte ihnen nach und heulte und trommelte mit den Fäusten auf das Fensterbrett.
    »Meine blauen Vögel!« brüllte er. »Haltet sie! Haltet sie! Sie verlassen mich! Da fliegen sie … bleibt doch … bleibt bei mir …« Er breitete die Arme weit aus und beugte sich aus dem Fenster. Tränen rannen ihm über das zuckende Gesicht. Als die Krähen in den Baumwipfeln verschwunden waren, lehnte er die Stirn gegen die Mauer und weinte laut wie ein verlassenes Kind.
    Luise stand hinter ihm und hielt ihn umfaßt. »Sie kommen ja wieder«, sagte sie tröstend zu ihm. »Sie fliegen nur um den Wald herum. Sie wissen, daß du sie brauchst.«
    »Wissen Sie das?« Sassner drehte sich um. Sein Gesicht war tränennaß. »Hast du mit ihnen gesprochen?«
    »Ja. Sie kommen wieder.«
    »Sie halten mir die Treue. Sie sind treuer als die Menschen. Sei ehrlich – kommen sie

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