Das Schloß der blauen Vögel
Nacht luden sie Egon Trapps in den Kombiwagen und fuhren zur Autobahn. Noch einmal hatte Ilse ihren Mann mit Alkohol vollgepumpt, hatte ihm saubere Unterwäsche angezogen, seinen besten Anzug, Mantel und Hut.
In der Nähe der Ausfahrt hielten sie, zogen Egon Trapps aus dem Wagen und trugen ihn hinter einen Busch. Sie warteten, bis sie von beiden Seiten keine Scheinwerfer mehr sahen, schleppten den Körper dann auf die Autobahn und warfen ihn mitten auf die Fahrbahn. Dann rannten sie zurück und duckten sich hinter eine Buschgruppe.
Scheinwerfer … zwei, drei hintereinander … schnell näherkommend, rauschende Räder, Motorengebrumm …
»Sie fahren wie die Irren«, sagte Sassner versonnen.
Ein Schlag. Noch ein Schlag. Kreischende Bremsen, schleudernde Wagen, aufspritzender Sand des Randstreifens. Sassner ergriff Ilses kalte Hand und zog sie mit sich zum Waldweg, der auf die Auffahrt mündete.
»Wie kann man auch einen OP beschmutzen«, sagte er tadelnd und half Ilse in den Kombiwagen. »So einer mußte ja so enden …«
Um den weggeschleuderten Körper auf der Autobahn scharten sich die Menschen. Warnfackeln wurden angezündet und erhellten mit flackerndem Rot die Nacht. Jemand rief von einer Sprechsäule nach Polizei und Krankenwagen.
An diesem Knäuel von Autos und aufgeregten Menschen, zuckenden Warnlichtern und lodernden Fackeln hielt auch Dr. Keller und stieg aus.
Er war mit Angela auf dem Rückweg von Luise Sassner.
Der Tote lag auf dem Rücken, die Arme weit ausgebreitet, die Beine verkrümmt. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, nicht mehr, denn die Wagenräder waren genau über den Kopf gerollt und hatten ihn völlig deformiert. Es war ein schrecklicher Anblick. Die paar Frauen, die sich dem Toten aus Neugier genähert hatten, wandten sich schnell ab, zogen ihre Taschentücher aus den Handtaschen, drückten sie gegen den Mund und flüchteten in die Wagen, zurück.
»Bitte, lassen Sie mich durch«, sagte Dr. Keller laut und drängte sich durch den Kreis. »Ich bin Arzt. Bitte …«
»Hier können Sie auch nichts mehr machen, Herr Doktor.« Ein Lastwagenfahrer, der breitbeinig neben dem Toten stand, winkte ab. Er hatte die Mütze in den Nacken geschoben und kratzte sich über das stoppelbärtige Kinn. Zwei Männer waren die Autobahn etwa zweihundert Meter zurückgelaufen und schwenkten Taschenlampen, um die heranbrausenden Wagen vor dem Knäuel der abgestellten Autos zu warnen. »Der muß total besoffen über die Bahn geschossen sein.«
»Er lag da … er lag mitten auf der Bahn. Als ich ihn sah, war's schon zu spät …« Der Fahrer des Wagens, der Egon Trapps' trauriges Leben ausgelöscht hatte, keuchte vor Erregung. Sein Auto hing halb über der mittleren Leitplanke, der Kühler war zusammengedrückt wie der Balg einer Ziehharmonika. Daß er noch lebte, war ein kleines Wunder.
»Ich versichere«, rief der Mann, »daß er auf der Bahn lag. Einen aufrechten Menschen hätte ich ja viel früher im Scheinwerferlicht gesehen …«
»Das besoffene Schwein wollte auf der Bahn pennen.« Der Lastwagenfahrer hob die Schultern. »So schlimm es ist … er ist selbst schuld …«
Dr. Keller kniete neben dem Toten. Drei Taschenlampen beleuchteten das völlig zerdrückte, formlose Gesicht. Eine Wolke von Alkoholgeruch umgab den Toten, aus den Poren des ganzen Körpers drang der Geruch …
Dr. Keller erhob sich und steckte sich eine Zigarette an. Von weither hörte man jetzt die heulende Sirene eines Rettungswagens.
»Es ist fast unverständlich, wie ein so volltrunkener Mann überhaupt noch laufen konnte«, sagte Dr. Keller. »Dem Geruch nach besteht er fast nur noch aus Schnaps.«
»Das geht alles, Herr Doktor!« Der Lastwagenfahrer grinste breit. »Ich bin schon mal auf allen vieren nach Hause gekrochen. Fünfhundert Meter von der Kneipe bis zu Muttern. Nur der Anzug war hin, und zu Hause war vierzehn Tage stille Messe …«
Die umstehenden Männer lächelten etwas verzerrt. Das Martinshorn des Rettungswagens näherte sich schnell. »Paß mal auf«, sagte einer der Männer. »Gleich geht es los. Habe das schon mal erlebt. Die nehmen keinen Toten mit. Da muß jetzt extra ein Leichenwagen kommen. Aha! Die Polizei ist auch schon da!«
»Ich habe keine Schuld«, sagte der Mann wieder, der Egon Trapps überfahren hatte. »Ich habe wirklich keine Schuld. Da war nur ein Schatten auf der Bahn, und plötzlich …« Er wischte sich über die Augen und schob sich an Dr. Keller heran. »Nußmann, mein Name.
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