Das Schloß der blauen Vögel
geschafft, in die Stadt zu ziehen. Schade drum. War gemütlich in der Kneipe. Die rote Ilse würde man vermissen.
Sassner hatte sein Turmzimmer bezogen. Es war so eng, daß gerade ein Tisch und ein Stuhl hineinpaßten. Hier saß er lange Stunden, sah aus den vier Fenstern über Wald und Busch, hinauf in den Himmel und über das graue Schieferdach seines Schlosses. Wenn Vögel kamen und sich auf den First setzten, sprach er mit ihnen wie mit Menschen. Einmal stockte ihm der Atem: Ein großer, unbekannter Vogel saß eines Morgens vor ihm auf dem Dach, ein Vogel mit einem in der Sonne leuchtenden blauen Gefieder.
»Da bist du ja, mein Genie …« stammelte Sassner, kniete am Fenster nieder und faltete die Hände. »Gib mir den Geist, die Menschheit zu heilen. O blauer Vogel, segne mich.«
Er sah mit zitterndem Herzen, wie der blaue Vogel dreimal um das Türmchen kreiste und dann in den Wald flog.
»Das ist das Zeichen!« sagte er. »Das war es! Ich muß anfangen!«
Das Leben mit Ilse Trapps war ein einziger Rausch. Nachts verbrannten sie aneinander, am Tage – zu den ›Dienstzeiten‹ – lief sie im Schürzchen und Häubchen, wie es befohlen war.
Egon Trapps störte sie kaum noch. Man hielt ihn unter Alkohol, fütterte den ewig Betrunkenen wie einen Säugling, führte ihn zum Klosett und warf ihn dann wieder auf das Sofa im Hinterzimmer. Ein Vollbart wuchs ihm, struppig und breit, als wolle die Natur am Kinn ausgleichen, was auf dem Schädel fehlte.
Nur einmal verpaßten sie die ständige Alkoholnarkose. Das war, als Sassner operierte.
Ilse Trapps hatte nach Sassners Angaben eine Puppe aus Stroh, Holz, Reisig und einem Kürbis gemacht. Sie war lebensgroß, stak in einem Anzug von Egon Trapps und lag hingestreckt auf dem OP-Tisch. Der Kürbis, der als Kopf diente, war sogar angemalt und hatte ein Gesicht.
Im weißen Chirurgendreß, die Gummischürze umgebunden, mit Kappe und Mundschutz stand Sassner vor der Strohpuppe und betastete den Kürbis mit seinen behandschuhten Händen. Alles war bisher abgelaufen wie in einem richtigen OP. Er hatte sich lange gewaschen und die Hände und Unterarme geschrubbt, die Oberseite des Kürbis war mit Jod eingepinselt; dort, wo der Schädel geöffnet werden sollte, hatte Sassner die Trepanationsstellen mit Rotstift angezeichnet.
»Alles klar?« fragte Sassner.
»Alles, großer Boss.« Ilse Trapps stand neben ihm. Die gespenstische Szene ergriff sie ungemein. Aber es war keine Angst, es war eine betäubende sexuelle Lust, die sie durchrann.
»Puls?«
»Normal.«
»Blutdruck?«
»Normal.«
Sassner beugte sich über den großen gelben Kürbis. Seine rechte Hand fuhr zur Seite. »Skalpell!«
Ilse Trapps reichte ihm das kleine Handbeil. Mit aller Kraft spaltete er den Kürbis in zwei Teile, der Saft spritzte über den Tisch, gegen die Gummischürze, in die beiden Gesichter und troff auf den Boden.
»Ein schöner Schnitt«, sagte Sassner ruhig. »Sehen Sie die einzelnen Gehirnknoten, Schwester Teufelchen?« Er griff in den gespalteten Kürbis und nahm ein paar Kerne heraus. »Das hier sind die Ganglien der Dummheit. Ich werfe sie jetzt weg.«
»Ja«, keuchte Ilse Trapps. Ihre Augen glänzten unnatürlich. Ihr Leib zuckte wie unter Krämpfen.
»Eimer!«
Sassner warf die Kürbiskerne in eine der Wannen neben sich und drückte die beiden Hälften wieder zusammen. Dann nahm er Leukoplast, das ihm Ilse reichte, und klebte die beiden Hälften zusammen.
»Sehen Sie, so einfach ist das, die Dummheit wegzuoperieren. Man muß es nur können!« sagte er dabei.
Er tätschelte den mißhandelten Kürbis, trat vom Tisch zurück und zog seine Handschuhe aus.
»Was sagen Sie nun, Schwester Teufelchen?«
»Du bist wirklich der große Boss!« Ilse Trapps starrte auf die Puppe in Egons Kleidern. Dann stieß sie einen hohen, schrillen Schrei aus, schlug mit beiden Fäusten auf den Kürbis und sprengte die Hälften wieder auseinander.
In diesem Augenblick ging die Tür auf. Egon Trapps stand im Zimmer, mit glasigen Augen, schwankend und übelriechend. In den Nebeln, die um ihn kreisten, sah er seine Frau nackt mit dem Schürzchen um den Bauch.
»Hure!« schrie er und schlug sinnlos um sich. »Hure! Ich bringe dich um …« Er machte einen Schritt auf Ilse zu, fiel dann auf die Knie und rollte lallend auf den Boden. Sassner nahm Mundschutz und Kappe ab.
»Auf dem OP-Boden!« sagte er mit Ekel in der Stimme. »Er macht uns alles unsteril! Das geht nicht mehr so weiter …«
In der
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