Das Schloß der blauen Vögel
Protokoll gewissenhaft durchlas und mit dem Kugelschreiber Tippfehler ausbesserte. »Man muß sich wundern, auf welche Art sich die Menschen umbringen. Zum Beispiel vorgestern. Auto gegen die Böschung, Salto zurück auf die Autobahn. Kaputt. Zog plötzlich ohne Sinn nach rechts, sagten die Zeugen. Und was ist im Auto? Ein junger Kerl, natürlich tot, und neben ihm so eine langmähnige Mieze mit offener Bluse und ohne Rock oder sonst was. Auch tot. Ist ja wohl klar, warum der Junge nach rechts zog. Bei Tempo 140 solche Spielchen … idiotisch! Noch 'ne Tasse Kaffee, Herr Doktor?«
»Danke.« Dr. Keller legte den Arm um Angela. Sie fror, obwohl es im Polizeibus warm war. Eine Wärme, die nach Männerschweiß, ausdünstenden Uniformen, nassem Leder und Bohnenkaffee roch. »Mir ist dieser Unfall unklar«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Aber wenn du willst, fahren wir auch weiter.«
Angela legte den Kopf gegen seine Schulter. »Wenn es nötig ist, Bernd … wenn du meinst, daß es wichtig ist …«
»Ich habe so ein dummes Gefühl.«
»Dann bleiben wir …« Sie sah ihn kurz an und schloß dann die Augen. »Ich hatte mich so auf unser Zimmer im Hotel gefreut. Nun bleibt es leer. Wir haben so wenige Nächte, in denen wir allein sein können …«
Dr. Keller schwieg. Vielleicht bin ich altmodisch, dachte er. Ein Hotelzimmer mit Angela würde jedem anderen wichtiger sein als dieser unbekannte Tote. Vielleicht sollte man wirklich fahren, warum sich einmischen in diesen Fall, in den man durch Zufall hineingezogen worden ist? Das kleine Hotel, das sie sich nach Prospekten ausgesucht hatten … es sah verträumt aus, wie ein Puppenhaus, eine Oase der Liebenden. Es war ihre letzte Nacht … danach fuhren sie zur Klinik Hohenschwandt zurück, und der tägliche Ärger begann wieder. Die aufreibende Gegnerschaft zu Dr. Kamphusen, die medizinische Gegensätzlichkeit zu Professor Dorian, die unerklärbaren Sabotageakte an den wehrlosen Kranken.
Die letzte Nacht eines ungestörten Glücks verging vor der mit einer Plane bedeckten Leiche eines Säufers.
Dr. Keller hatte sich gerade entschlossen, Angela zu sagen, daß sie weiterfahren würden, zu ihrem kleinen Hotel zwischen den Weinhügeln, als der dunkle Leichenwagen neben dem Polizeibus hielt. Zwei Männer in Leinenmänteln schoben einen Sarg auf den Parkstreifen.
»Aha! Da sind Ludwig und Erwin«, sagte der Polizeimeister fröhlich und schraubte die Thermosflasche wieder zu. »Zwillinge, Herr Doktor. Werden die ›Zinkbrüder‹ genannt, weil der Sarg mit Zink ausgeschlagen ist …« Er lachte und stieg aus dem Bus.
Dr. Keller schwieg und blieb.
Zehn Minuten später fuhr er hinter dem Leichenwagen her nach Stuttgart zum gerichtsmedizinischen Institut.
Vor dem ›Gasthaus zur Eiche‹ hielt ein kleiner Personenwagen, als Gerd Sassner und Ilse Trapps zurückkehrten. Er mußte gerade gekommen sein. Die Scheinwerfer tauchten die Tür zur Gastwirtschaft in grelles Licht, eine Frauengestalt näherte sich dem dunklen Haus und las das Schild, das hinter die Scheibe geklebt war.
»Wegen Geschäftsaufgabe geschlossen.«
Ilse Trapps legte die Hand auf Sassners Arm und drückte ihn.
»Fahr weiter«, flüsterte sie, als könne man sie draußen hören. »Fahr vorbei …«
»Warum?« Sassner hielt neben dem kleinen Auto und löschte seine Scheinwerfer. »Man kann eine hilflose Dame in der Nacht nicht allein lassen. Das wäre unhöflich! Die Beschützerrolle des Mannes ist eine gottgewollte Aufgabe … wir wollen doch die Natur nicht korrigieren.«
»Aber das Haus ist doch leer.« Ilse hielt Sassner fest, als er aussteigen wollte. Sie umklammerte seine Schultern. »Gerd! Es weiß doch keiner, daß wir noch hier wohnen!«
»Laß das, Teufelchen.« Sassner schlug ihr auf die Hände und stieg aus. Die Frau im Scheinwerferlicht blinzelte und kam von der Tür zurück.
»Suchen Sie auch ein Quartier?« rief sie. »Hier ist alles zu. Geschäftsaufgabe. Was mache ich nun?«
Sassner blieb neben seinem Wagen stehen und betrachtete die Frau. Sie war etwa dreißig Jahre alt, groß und schlank. Sie trug einen hellen Trenchcoat, dessen Gürtel sie eng um die Taille gezogen hatte. Das schwarze Haar war sportlich kurz geschnitten; der Schal, den sie um den Kopf gebunden hatte, war in den Nacken gerutscht. Ihre Stimme war dunkel und melodisch.
»Können Sie mir helfen? Seit einiger Zeit, ich weiß nicht, wie lange, läuft mein Wagen nur auf Batterie. Die Lichtmaschine lädt nicht mehr auf. Wie
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