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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Heinz Nußmann. Studienrat. Daß mir so etwas passieren muß. Ich werde diese Sekunden nie mehr vergessen.«
    Mit knirschenden Bremsen hielten Rettungswagen und Polizei-Porsche an der Unfallstelle. Ein zweiter Polizeiwagen, ein Kleinbus, genannt ›Unfall-Aufnahme-Wagen‹, schwenkte ein. Weithin leuchteten und zuckten nun die Warnlampen und Fackeln … die Autos fuhren langsam vorbei, um dann wieder Gas zu geben und in die Nacht hineinzubrausen.
    Der Polizeimeister, der das Unfallkommando leitete, blickte kurz auf den Toten, der im Licht einiger Taschenlampen lag. Die Frage, ob der Verletzte schon tot sei, konnte er sich sparen. Der Alkoholgeruch wehte auch ihm in die Nase.
    »Besoffen, was?« fragte er mit militärischer Kürze.
    »Total betrunken. Volltrunken«, erklärte Dr. Keller.
    »Wer sind Sie?«
    »Ich bin Arzt. Doktor Keller.«
    »Sie haben den Mann überfahren?«
    »Nein. Ich kam später und stellte den Tod fest.«
    »Woran?«
    Im Kreis der Männer gluckste es. »Wenn man ihm auf den Bauch drückte, furzte er nicht mehr«, sagte der Lastwagenfahrer genußvoll. Einige lachten. Der Polizeimeister zog wütend den Kopf ein.
    »Wer sind denn Sie?« schrie er den Lastwagenfahrer an.
    »Josef Klinke von der Firma Dumhoff und Co. Wanne-Eickel, Güterfernverkehr. Im Moment transportiere ich Gartenzwerge …«
    Es begann, um den Toten herum fröhlich zu werden. Ein Sanitäter drängte sich durch die Menge, der Unfallwagen war einsatzbereit.
    »Sind hier Verletzte?« rief der Sanitäter.
    »Nee. Nur 'n Toter.«
    »Geht uns nichts an! Kein Verletzter?«
    »Nein.«
    »Leichenwagen kommt gleich.« Der Sanitäter tippte an seine Mütze. »Hätte man ja gleich durchgeben können, daß keiner verletzt ist.«
    Bis der Wagen mit dem einfachen Sarg kam, vergingen noch dreiundvierzig Minuten. Die Polizei hatte über den zerschundenen Körper Egon Trapps' eine Plane gebreitet, die anderen Wagen waren weitergefahren, nachdem man ihre Nummern und die Namen der Fahrer notiert hatte. Man brauchte sie noch als Zeugen. Studienrat Heinz Nußmann aus Stuttgart, der auf der Fahrt zum Geburtstag seines Erbonkels war – »Der alte Herr wird morgen einundneunzig Jahre! Und da muß mir so etwas passieren!« –, saß wie ein Häuflein Elend im Unfallwagen der Polizei und erzählte weitschweifig das Unglück.
    Das Protokoll gestaltete sich etwas schwierig. Studienrat Nußmann war Altphilologe am humanistischen Gymnasium. Seinen Bericht über den Unfall würzte er mit lateinischen Ausdrücken und Zitaten, die dem protokollierenden Beamten den Schweiß auf die Stirn trieben. Da ein Protokoll wörtlich zu sein hat, kam die Untersuchung ins Stocken.
    »Wie heißt das?« fragte der Beamte an der Reiseschreibmaschine.
    »Ich sagte: Der Mann war betrunken. Ut sementem feceris, ita metes …«
    »Ist das medizinisch?«
    Studienrat Nußmann sah den jungen Polizisten strafend an. »Das ist von Pinarius Rufus und heißt: Wie du gesäet, so wirst du ernten …«
    »Können wir streichen.« Der Polizeimeister schraubte eine Thermosflasche mit dampfendem Kaffee auf. »Ist für den Unfallhergang nicht von Bedeutung. Auch 'n Kaffee, Herr Studienrat?«
    »Danke.« Heinz Nußmann winkte ab. Er zitterte noch immer.
    »Sie, Herr Doktor?«
    »Gern.« Dr. Keller trank einen Schluck und gab den Kunststoffbecher dann an Angela Dorian weiter. Sie hockten in dem Polizeikleinbus und warteten auf den Leichenwagen. Dr. Keller hatte angeboten, den Toten zu begleiten. Als Psychiater und Neurologe interessierten ihn die Blutalkoholwerte, die man später bei der Autopsie ermitteln würde. Dem Geruch nach, dem Ausströmen des Alkohols aus den Poren, mußte dieser Tote völlig bewegungsunfähig gewesen sein. In einem solchen Zustand kann man nicht mehr gehen und auch nicht mehr kriechen; man ist betäubt, narkotisiert, gelähmt.
    Wie aber kam dann der Tote auf die Autobahn? Wie konnte er mitten auf der Fahrbahn liegen? War er aus einem Wagen geworfen worden, ehe ihn das nachfolgende Auto überrollte? Hatte ihn jemand auf die Straße geschleift?
    Dr. Keller behielt diese Gedanken für sich. Sie gehörten nicht hierher. Erst mußten die Alkoholwerte festgestellt werden, dann sah man klarer. Auch wenn man zum Säufer geboren ist – es gibt eine Grenze, wo der Alkohol den Menschen bezwingt und ihn zu einem Klumpen Fleisch werden läßt.
    »Das ist jetzt schon der vierte Tote auf diesem Abschnitt in dieser Woche«, sagte der Polizeimeister, während Studienrat Nußmann das

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