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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gestern noch jemand gewohnt.«
    »Es war in einem Seitental des Maggia«, sagte Sassner sinnend und setzte sich, »ein wildromantisches Tal wie aus einem Bild der Romantiker. Auf halber Höhe der Felsen lag ein verlassenes Dorf. Wie hieß es … warten Sie mal … ja, es hieß Torlaggio. Es war seit neunzehn Jahren verlassen, das erfuhr ich später in Locarno. Dort in Torlaggio erlebte ich, daß in einem Haus der Kaffeetisch noch gedeckt war. Eine handgewebte grobe Tischdecke, Teller und Tassen aus Keramik, in der Kanne noch Kaffee, natürlich dick verschimmelt, auf einem Teller vier Scheiben Brot, steinhart … nach neunzehn Jahren! Ich habe so fassungslos gestaunt wie Sie jetzt, gnädige Frau.« Er sprang plötzlich auf und verbeugte sich knapp. »Ich heiße übrigens Dorianescu. Doktor Dorianescu. Ich bin Arzt. Chirurg. Gehirnchirurg.«
    »Angenehm. Magda Hendle. Mein Mann ist Ministerialrat in Stuttgart. Im Finanzministerium.«
    »Das gute Finanzministerium.« Sassner lachte etwas rauh. »Legalisierte Piraterie. Aber es muß ja sein. Woher kämen sonst die Groschen für die Krankenhäuser zum Beispiel. Und die Autobahnen.«
    Er ging zum Tresen, entkorkte eine Flasche Cognac und holte zwei Gläser aus dem Regal. »Da alles hier etwas mystisch ist, wollen wir die Realität genießen! Der Cognac ist echt. Sie trinken einen mit?«
    »Aber das geht doch nicht«, sagte Magda Hendle ausweichend. Dieser Mann, dieser Hirnchirurg faszinierte sie irgendwie. Er sprach mit einem unwiderstehlichen Charme, und was er sagte, war von einer funkelnden Eleganz.
    Sie betrachtete ihn genauer und sah die große Narbe an der Kopfseite. Bestimmt eine Mensurnarbe, dachte sie. Er sieht aus, als habe er als Student wilde Säbelschlachten geschlagen.
    Sie ließ es geschehen, daß er die Gläser vollgoß und ihr das eine Glas in die leicht bebende Hand drückte.
    »Sie haben viel von der Welt gesehen?« fragte sie. Erschrocken hielt sie inne. Sie erkannte ihre eigene Stimme nicht mehr. Ein fremdes Rauschen war in dem melodischen Ton. Ich bin verrückt, dachte sie. Ich bin einfach durchgedreht durch die dumme Batterie. Vor fünf Minuten gab es diesen Mann noch nicht für mich auf der Welt, und außerdem ist seine Frau draußen am Wagen. Eine rothaarige Furie, scheint mir. Wie kann ein Mann wie dieser Dr. Dorianescu nur eine so ordinär wirkende Frau haben?
    »Ich kenne die Welt, wie sie ist, und die Welt der Phantasien, wie sie in den Gehirnen meiner Patienten lebt. Ich muß zugeben, daß diese Welt oft schöner ist, weil sie eine verbotene Welt ist.« Sassner hob sein Glas. »Darf ich mit diesem Schluck eine ungewöhnlich aparte und anziehende Frau begrüßen?«
    Magda Hendle durchrann es heiß. Sie wehrte sich dagegen, aber Sassners Blick hatte sie schon eingefangen. Sie fühlte ein Brennen in der Herzgegend und eine Schwäche gegenüber allen Versuchen, sich durch Vernunft zu wehren.
    »Dorianescu«, sagte sie. »Das klingt nach Balkan.«
    »Mein Urgroßvater kam aus Rumänien. Aber schon mein Großvater wurde in Sachsen geboren. Mein Vater in Hamburg. Ich selbst in Konstanz am Bodensee. Sie sehen, meine Familie hatte die Unruhe von Zugvögeln. Das mag daher kommen, daß wir auch Vögel im Wappen hatten. Blaue Vögel. Herrliche blaue Vögel. Vögel mit goldenen Augen. Stoßen wir an!«
    Er stieß sein Glas gegen das von Magda Hendle, trank es aus und wartete, bis auch Magda ihr Glas geleert hatte … Dann griff er zu, ohne weitere Worte, zog sie mit einem Ruck an sich und küßte sie. Sie wehrte sich verzweifelt, sie hämmerte mit den Fäusten auf seinen Kopf und gegen seinen Rücken, aber nur wenige Sekunden lang. Ihr Widerstand erlahmte plötzlich, sie hing in seinen Armen und erwiderte seinen Kuß mit geschlossenen Augen.
    Wer hatte sie schon jemals so geküßt? Ihre Jugendliebe Rainer? Das waren Küsse wie ein Windhauch. Ihr Mann Kurt Hendle? Er war ein guter Ehemann und vorher ein fröhlicher Liebhaber … aber vor dieser Macht von Besitzergreifung und Gier verblaßte alles, was Magda Hendle bisher an Liebeserfahrung besaß. Sie fühlte sich wie aufgerissen und verblutete in Seligkeit.
    »Sie sind verrückt!« sagte sie später und ordnete ihre Haare. »Wenn nun Ihre Frau hereingekommen wäre?«
    »Sie kommt nicht. Ilse ist etwas scheu.«
    »Sie sind trotzdem verrückt! Was soll das alles? Wir werden uns nie wiedersehen!«
    »Eben deshalb sollte man die kurze Stunde des zufälligen Treffens genießen. Der Mensch hängt viel zu sehr an

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