Das Schloss von Otranto
Schlafgemach begeben: so spät pflegt sie niemals aufzubleiben. Mein Fürst, fuhr sie fort, seyn Sie gelassen. Sagen Sie mir, was Sie aufbringt. Hat Isabelle sie beleidigt? Quälen Sie mich nicht mit Fragen, versetzte Manfred, sondern sagen Sie mir wo sie ist? Matilde soll sie rufen, erwiederte die Fürstin. Setzen sie sich, rufen Sie Ihre gewohnte Standhaftigkeit zurück. Sind Sie denn eifersüchtig auf Isabelle, fragte er, daß Sie bey unsrer Unterredung zugegen seyn wollen? Lieber Himmel! sagte Hippolite, wie meint Ihre Hoheit das? Sie sollen es bald erfahren, antwortete der Fürst. Schicken Sie mir Ihren Capellan, und erwarten Sie hier Bescheid. Mit diesen Worten verließ er eilig das Zimmer, um Isabellen zu suchen. Die bestürzten Damen waren wie vom Donner gerührt, über die Heftigkeit seiner Ausdrücke und seines Benehmens, und verloren sich in eitle Muthmassungen über sein Vorhaben.
Jetzt kehrte Manfred aus dem Kreuzgange zurück, der Bauer war mit ihm, und wenige Diener, die er zwang ihm zu folgen. Er stieg die Treppe hinauf, ohne still zu stehn, bis er zu der Gallerie kam, an deren Thüre er Hippoliten und ihrem Capellan begegnete. Als Jago von Manfred entlassen war, ging er gerade ins Gemach der Fürstin, und schrie über das was er gesehen hatte. Diese vortrefliche Frau zweifelte, so wenig als Manfred, an der Wahrheit der Erscheinung, doch stellte sie sich, als hielte sie den Bedienten für einen Träumer. Nur wünschte sie, ihrem Gemahl jede neue Erschütterung zu ersparen, und da langer Gram sie gelehrt hatte, vor keiner Vermehrung desselben zu zittern, so beschloß sie das erste Opfer zu werden, wenn das Schicksal die gegenwärtige Stunde zu ihrer Vernichtung bestimmt hätte. Sie sandte daher die zögernde Matilde zur Ruhe, die vergebens um Erlaubniß bat ihre Mutter zu begleiten, und besuchte, einzig in Gesellschaft ihres Capellans, die Gallerie und das große Zimmer. Jetzt begegnete sie, mit mehr Heiterkeit der Seele, als ihr seit einigen Stunden zu Theil geworden war, ihrem Gemahl, und versicherte ihn, die Erscheinung des Riesenbeins und Fußes sey ein Mährchen; sey unstreitig ein bloßer Eindruck der Furcht, und der finstern unheimlichen Stunde der Nacht, auf das Gemüth seiner Bedienten. Sie und der Capellan hatten das Zimmer untersucht, und alles in gehöriger Ordnung gefunden.
Manfred, obwohl eben so überzeugt als seine Gemahlin, diese Erscheinung sey kein Werk der Einbildungskraft, erholte sich ein wenig von dem Sturm, womit so viel befremdende Auftritte seine Seele bekämpften. Auch schämt' er sich, einer Fürstin so unmenschlich begegnet zu haben, die jede Beleidigung durch neue Beweise der Zärtlichkeit und Tugend erwiederte; und fühlte, daß rückkehrende Liebe sich in seine Augen dränge – aber nicht minder schämte er sich auch, derentwegen Gewissensbisse zu fühlen, der sein Gemüth eine viel herbere Schmach bereitete: darum unterdrückte er die Reue seines Herzens, und wagte nicht einmal, dem Mitleid Gehör zu geben. Bald ging seine Seele zu ausgesuchtem Frevel über. So sehr rechnete er auf Hippolitens unerschütterliche Nachgiebigkeit, daß er sich schmeicheln durfte, sie würde sich eine Scheidung nicht nur geduldig gefallen lassen, sondern wenn es sein Wille sey, ihm sogar darin gehorchen, daß sie selbst Isabellen beredete, ihm ihre Hand zu geben. In der Mitte dieser abscheulichen Hoffnung, fiel ihm ein, Isabelle sey nicht zu finden. Er erwachte aus seinen Ueberlegungen, befahl jeden Zugang der Burg strenge zu bewachen, und gebot seinen Dienern bey Lebensstrafe, niemanden herauszulassen. Mit dem jungen Bauer sprach er freundlich, befahl ihm in einer kleinen Kammer neben der Treppe zu bleiben, worin ein Ruhebett stand, und deren Schlüssel er zu sich steckte, indem er dem Jüngling sagte, er wolle morgen früh mit ihm reden. Darauf entließ er sein Gefolge, nickte Hippoliten eine kurze unwillige Bewegung des Hauptes zu, und begab sich auf sein Zimmer.
Zweiter Abschnitt
Matilde hatte sich auf Hippolitens Befehl in ihr Gemach verfügt, aber zur Ruhe war sie wenig aufgelegt. Ihres Bruders schreckliches Schicksal rührte sie tief. Sie war verwundert, Isabellen nicht zu sehn. Die seltsamen Reden ihres Vaters, dessen unverständliche Drohungen gegen seine fürstliche Gemahlin, und wütendes Betragen, erfüllten ihre sanfte Seele mit Schrecken und Besorgniß. Aengstlich wartete sie, daß Bianca zurück kommen mögte, ein junges Mädchen in ihren Diensten, das sie abgeschickt
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