Das Schloss von Otranto
Abenden an seinem Grabe beten läßt? Er ist doch kein Calenderheiliger? Wenn Sie beten sollen, warum wenden Sie sich nicht lieber an unsern heiligen Sankt Niklas? Ich weiß wohl, das ist der Heilige, den ich um einen Mann anrufe. Vielleicht wäre mein Gemüth wieder beruhigt, sagte Matilde, wenn meine Mutter mir ihre Ursache erklären wollte. Aber eben dies Geheimnißvolle ihrer Winke, erweckt das Gefühl in mir, das ich nicht zu nennen weiß. Da sie niemals nach Launen handelt, so bin ich gewiß, irgend ein verborgener Zusammenhang liegt darunter versteckt; ich bin davon überzeugt. In der heftigsten Qual ihres Schmerzes, über den Tod meines Bruders, ließ sie einige Worte fallen, die mich dessen versichern. – O liebes gnädiges Fräulein! rief Bianca, was waren das für Worte? Nein, sagte Matilde, einen Ausdruck der Mutter, den sie wieder zurück zu nehmen wünschte, darf ihr Kind nicht wiederholen. Ey, fragte Bianca, that es ihr leid, was sie gesagt hatte? Gnädiges Fräulein, mir können sie trauen! Mit meinen eignen kleinen Geheimnissen, wenn ich ihrer habe, kann ich das wohl, sprach Matilde, aber nie mit den Geheimnissen meiner Mutter. Eine Tochter muß weder Augen noch Ohren haben, als nach dem Willen ihrer Mutter. Nun gewiß, gnädiges Fräulein, rief Bianca, Sie sind zur Heiligen gebohren, und seinem Beruf kann niemand wiederstehn! Sie kommen doch noch am Ende ins Kloster. Fräulein Isabelle würde nicht so hinterm Berge gegen mich halten; sie hört gern, wenn ich ihr von jungen Herrn vorschwatze; und so oft ein schmucker Ritter ins Schloß kam, gestand sie mir, wie sehr sie wünsche, Junker Corrado mögte ihm ähnlich sehn. Bianca, sagte die Prinzessin, ich erlaube dir nicht, die Achtung gegen meine Freundin zu vergessen. Isabelle ist geneigt zum Scherzen, aber ihre Seele ist so rein, als die Tugend selbst. Sie weiß, welch ein Plaudermaul du bist, und hat dich vielleicht zuweilen zum Schwazen aufgemuntert, um sich der Schwermuth zu entreissen, und die Einsamkeit zu beleben, worin uns mein Vater hält. – Heilige Mutter! rief Bianca, und fuhr zusammen, da ist es wieder! Hören Sie nichts gnädiges Fräulein? Es spukt sicherlich in dieser Burg! – Still, sprach Matilde, und horch auf! ich glaube eine Stimme zu vernehmen. Aber es muß Einbildung seyn, deine Schreckhaftigkeit wird mich angesteckt haben. Warlich, warlich, gnädiges Fräulein, sagte Bianca, halbweinend vor Angst, ich habe gewiß eine Stimme gehört. Liegt jemand in der untern Kammer? fragte die Prinzessin. Das hat sich niemand unterstanden, antwortete Bianca, seit der große Sterndeuter, Ihres Bruders Hofmeister, sich ersäufte. Sicherlich, gnädiges Fräulein, besucht unsers jungen Prinzen Geist den seinigen in der Kammer unter uns. Ums Himmels willen, lassen Sie uns in das Gemach Ihrer gnädigen Mutter flüchten! Ich befehle dir, bleib, sprach Matilde. Sind dies leidende Geister, so müssen wir sie befragen, ob ihre Qualen zu lindern stehn? Sie können uns nicht schaden wollen, denn wir haben sie nicht beleidigt; und wollen sie schaden, so sind wir nicht mehr sicher in einem Zimmer, als in dem andern. Gieb mir meinen Rosenkranz; erst will ich beten, und dann zu ihnen reden. O! gnädiges Fräulein, rief Bianca, ich spräche nicht zu einem Geist, und wenn ich die ganze Welt dadurch gewönne! – Als sie dies sagte, hörten sie die Fensterrahmen der kleinen Kammer unter Matilden öffnen. Sie horchten wohl zu, und bald däuchte es ihnen, als vernähmen sie jemand singen, aber die Worte konnten sie nicht verstehn. Dies kann kein böser Geist seyn, sagte die Prinzessin leise: es ist ohne Zweifel jemand von unsern Leuten. Mach' das Fenster auf, wir werden die Stimme kennen. Ich unterstehe michs nicht, gnädiges Fräulein, sagte Bianca. Du bist eine rechte Närrin, versetzte Matilde, und öfnete sanft das Fenster. Doch bemerkte die Person die unten war, das Geräusch welches die Prinzessin machte, und hielt ein. Sie schlossen daraus, man habe die Eröfnung des Geschosses bemerkt. Ist jemand unten? fragte die Prinzessin. Wer da ist, antworte! Ja, sagte eine unbekannte Stimme. Wer ist es? fragte Matilde. Ein Fremder, antwortete die Stimme. Welcher Fremde? fragte sie; und wer kann zu dieser ungewöhnlichen Stunde hieher kommen, wo alle Thore der Burg verschlossen sind? Ich bin nicht mit meinem Willen hieher gekommen, erwiederte die Stimme. Verzeihn Sie mir, Signora, wenn ich Ihre Ruhe gestört habe; ich wuste nicht, daß man mich vernehmen könnte.
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