Das Schloß
besuchen. Ich wohne im Zimmer Nr. 15 . Doch müßte er gleich jetzt kommen. Ich habe nur einige Besprechungen dort, und fahre um fünf Uhr früh wieder zurück. Sag ihm, daß mir viel daran liegt, mit ihm zu sprechen›.«
Plötzlich setzte sich Jeremias in Lauf. Barnabas, der ihn in seiner Aufregung bisher kaum beachtet hatte, fragte: »Was will denn Jeremias?« »Mir bei Erlanger zuvorkommen«, sagte K., lief schon hinter Jeremias her, fing ihn ein, hing sich an seinen Arm und sagte: »Ist es die Sehnsucht nach Frieda, die Dich plötzlich ergriffen hat? Ich habe sie nicht minder und so werden wir in gleichem Schritte gehn.«
Vor dem dunklen Herrenhof stand eine kleine Gruppe Männer, zwei oder drei hatten Handlaternen mit, so daß manche Gesichter kenntlich waren. K. fand nur einen Bekannten, Gerstäcker, den Fuhrmann. Gerstäcker begrüßte ihn mit der Frage: »Du bist noch immer im Dorf?« »Ja«, sagte K., »ich bin für die Dauer gekommen.« »Mich kümmert es ja nichts«, sagte Gerstäcker, hustete kräftig und wandte sich andern zu.
Es stellte sich heraus, daß alle auf Erlanger warteten. Erlanger war schon angekommen, verhandelte aber, ehe er die Parteien empfieng, noch mit Momus. Das allgemeine Gespräch drehte sich darum, daß man nicht im Hause warten durfte, sondern hier draußen im Schnee stehen mußte. Es war zwar nicht sehr kalt, trotzdem war es rücksichtslos die Parteien vielleicht stundenlang in der Nacht vor dem Haus zu lassen. Das war freilich nicht die Schuld Erlangers, der vielmehr sehr entgegenkommend war, davon kaum wußte und sich gewiß sehr geärgert hätte, wenn es ihm gemeldet worden wäre. Es war die Schuld der Herrenhofwirtin, die in ihrem schon krankhaften Streben nach Feinheit es nicht leiden wollte, daß viele Parteien auf einmal in den Herrenhof kamen. »Wenn es schon sein muß und sie kommen müssen«, pflegte sie zu sagen, »dann um des Himmels willen nur immer einer hinter dem andern.« Und sie hatte es durchgesetzt, daß die Parteien, die zuerst einfach in einem Korridor, später auf der Treppe, dann im Flur, zuletzt im Ausschank gewartet hatten, schließlich auf die Gasse hinausgeschoben worden waren. Und selbst das genügte ihr noch nicht. Es war ihr unerträglich im eigenen Haus immerfort »belagert zu werden«, wie sie sich ausdrückte. Es war ihr unverständlich, wozu es überhaupt Parteienverkehr gab. »Um vorn die Haustreppe schmutzig zu machen«, hatte ihr einmal ein Beamter auf ihre Frage, wahrscheinlich im Ärger, gesagt, ihr aber war das sehr einleuchtend gewesen und sie pflegte diesen Ausspruch gern zu citieren. Sie strebte danach, und dies begegnete sich nun schon mit den Wünschen der Parteien, daß gegenüber dem Herrenhof ein Gebäude aufgeführt werde, in welchem die Parteien warten könnten. Am liebsten wäre ihr gewesen, wenn auch die Parteibesprechungen und Verhöre außerhalb des Herrenhofes stattgefunden hätten, aber dem widersetzten sich die Beamten und wenn sich die Beamten ernstlich widersetzten, so drang natürlich die Wirtin nicht durch, trotzdem sie in Nebenfragen kraft ihres unermüdlichen und dabei frauenhaft zarten Eifers eine Art kleiner Tyrannei ausübte. Die Besprechungen und Verhöre würde aber die Wirtin voraussichtlich auch weiterhin im Herrenhof dulden müssen, denn die Herren aus dem Schloß weigerten sich, im Dorfe in Amtsangelegenheiten den Herrenhof zu verlassen. Sie waren immer in Eile, nur sehr wider Willen waren sie im Dorfe, über das unbedingt Notwendige ihren Aufenthalt hier auszudehnen, hatten sie nicht die geringste Lust und es konnte daher nicht von ihnen verlangt werden, nur mit Rücksicht auf den Hausfrieden im Herrenhof zeitweilig mit allen ihren Schriften über die Straße in irgendein anderes Haus zu ziehn und so Zeit zu verlieren. Am liebsten erledigten ja die Beamten die Amtsachen im Ausschank oder in ihrem Zimmer, womöglich während des Essens oder vom Bett aus vor dem Einschlafen oder morgens, wenn sie zu müde waren aufzustehn und sich im Bett noch ein wenig strecken wollten. Dagegen schien die Frage der Errichtung eines Wartegebäudes einer günstigen Lösung sich zu nähern, freilich war es eine empfindliche Strafe für die Wirtin – man lachte ein wenig darüber – daß gerade die Angelegenheit des Wartegebäudes zahlreiche Besprechungen nötig machte und die Gänge des Hauses kaum leer wurden.
Über alle diese Dinge unterhielt man sich halblaut unter den Wartenden. K. war es auffallend, daß zwar der
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