Das Schloß
Zeitung, aber nicht aufmerksam, gähnend ließ er öfters vom Lesen ab, beugte sich vor und blickte den Gang entlang, vielleicht erwartete er eine Partei, die er vorgeladen hatte und die zu kommen säumte. Als sie an ihm vorübergekommen waren, sagte der Diener inbezug auf den Herrn zu Gerstäcker: »Der Pinzgauer!« Gerstäcker nickte; »er ist schon lange nicht unten gewesen«, sagte er. »Schon sehr lange nicht«, bestätigte der Diener.
Schließlich kamen sie vor eine Tür, die nicht anders als die übrigen war und hinter der doch, wie der Diener mitteilte, Erlanger wohnte. Der Diener ließ sich von K. auf die Schultern heben und sah oben durch den freien Spalt ins Zimmer. »Er liegt«, sagte der Diener herabsteigend, »auf dem Bett, allerdings in Kleidern, aber ich glaube doch, daß er schlummert. Manchmal überfällt ihn so die Müdigkeit hier im Dorf bei der geänderten Lebensweise. Wir werden warten müssen. Wenn er aufwacht wird er läuten. Es ist allerdings schon vorgekommen, daß er seinen ganzen Aufenthalt im Dorf verschlafen hat und nach dem Aufwachen gleich wieder ins Schloß zurückfahren mußte. Es ist ja freiwillige Arbeit, die er hier leistet.« »Wenn er jetzt nur schon lieber bis zum Ende schliefe«, sagte Gerstäcker, »denn wenn er nach dem Aufwachen noch ein wenig Zeit zur Arbeit hat, ist er sehr unwillig darüber, daß er geschlafen hat, sucht alles eilig zu erledigen und man kann sich kaum aussprechen.« »Sie kommen wegen der Vergebung der Fuhren für den Bau?« fragte der Diener. Gerstäcker nickte, zog den Diener beiseite und redete leise zu ihm, aber der Diener hörte kaum zu, blickte über Gerstäcker, den er um mehr als Haupteslänge überragte, hinweg und strich sich ernst und langsam das Haar.
22
Da sah K., wie er ziellos umherblickte, weit in der Ferne an einer Wendung des Ganges Frieda; sie tat, als erkenne sie ihn nicht, blickte nur starr auf ihn, in der Hand trug sie eine Tasse mit leerem Geschirr. Er sagte dem Diener, der aber gar nicht auf ihn achtete – je mehr man zu dem Diener sprach, desto geistesabwesender schien er zu werden – er werde gleich zurückkommen, und lief zu Frieda. Bei ihr angekommen, faßte er sie bei den Schultern, so als ergreife er wieder von ihr Besitz, stellte einige belanglose Fragen und suchte dabei prüfend in ihren Augen. Aber ihre starre Haltung löste sich kaum, zerstreut versuchte sie einige Umstellungen des Geschirrs auf der Tasse und sagte: »Was willst Du denn von mir? Geh doch zu den – nun Du weißt ja, wie sie heißen, Du kommst ja gerade von ihnen, ich kann es Dir ansehn.« K. lenkte schnell ab; die Aussprache sollte nicht so plötzlich kommen und bei dem Bösesten, bei dem für ihn Ungünstigsten anfangen. »Ich dachte Du wärest im Ausschank«, sagte er. Frieda sah ihn erstaunt an und fuhr ihm dann sanft mit der einen Hand, die sie frei hatte, über Stirn und Wange. Es war, als habe sie sein Aussehn vergessen und wolle es sich so wieder ins Bewußtsein zurückrufen, auch ihre Augen hatten den verschleierten Ausdruck des mühsamen Sich-Erinnerns. »Ich bin für den Ausschank wiederaufgenommen«, sagte sie dann langsam, als sei es unwichtig was sie sage, aber unter den Worten führe sie noch ein Gespräch mit K. und dies sei das wichtigere, »diese Arbeit taugt nicht für mich, die kann auch eine jede andere besorgen; jede, die aufbetten und ein freundliches Gesicht machen kann und die Belästigung durch die Gäste nicht scheut, sondern sie sogar noch hervorruft, eine jede solche kann Stubenmädchen sein. Aber im Ausschank, da ist es etwas anderes. Ich bin auch gleich für den Ausschank wieder aufgenommen worden, trotzdem ich damals nicht sehr ehrenvoll ihn verlassen habe, freilich hatte ich jetzt Protektion. Aber der Wirt war glücklich, daß ich Protektion hatte und es ihm deshalb leicht möglich war, mich wieder aufzunehmen. Es war sogar so, daß man mich drängen mußte, den Posten anzunehmen; wenn Du bedenkst, woran mich der Ausschank erinnert, wirst Du es begreifen. Schließlich habe ich den Posten angenommen. Hier bin ich nur aushilfsweise. Pepi hat gebeten ihr nicht die Schande zu tun, sofort den Ausschank verlassen zu müssen, wir haben ihr deshalb, weil sie doch fleißig gewesen ist und alles so besorgt hat, wie es nur ihre Fähigkeiten erlaubt haben, eine vierundzwangzigstündige Frist gegeben.« »Das ist alles sehr gut eingerichtet«, sagte K., »nur hast Du einmal meinetwegen den Ausschank verlassen und nun da wir
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