Das Schloß
Zögern endgiltig zu überwinden, »mich in Dich einhängen lassen, denn Du gehst sicherer.« Und K. hing sich an seinen Arm. Es war ganz finster, sein Gesicht sah K. gar nicht, seine Gestalt undeutlich, den Arm hatte er schon ein Weilchen vorher zu ertasten versucht.
Barnabas gab ihm nach, sie entfernten sich vom Wirtshaus. Freilich fühlte K. daß er trotz größter Anstrengung gleichen Schritt mit Barnabas zu halten nicht imstande war, seine freie Bewegung hinderte und daß unter gewöhnlichen Umständen schon an dieser Nebensächlichkeit alles scheitern müsse, gar in jenen Seitengassen, wie jener wo K. am Vormittag im Schnee versunken war und aus der er nur, von Barnabas getragen, herauskommen könnte. Doch hielt er solche Besorgnisse jetzt von sich fern, auch tröstete ihn daß Barnabas schwieg; wenn sie schweigend gingen, dann konnte doch auch für Barnabas nur das Weitergehn selbst den Zweck ihres Beisammenseins bilden.
Sie gingen, aber K. wußte nicht wohin, nichts konnte er erkennen, nicht einmal ob sie schon an der Kirche vorübergekommen waren, wußte er. Durch die Mühe, welche ihm das bloße Gehn verursachte, geschah es, daß er seine Gedanken nicht beherrschen konnte. Statt auf das Ziel gerichtet zu bleiben, verwirrten sie sich. Immer wieder tauchte die Heimat auf und Erinnerungen an sie erfüllten ihn. Auch dort stand auf dem Hauptplatz eine Kirche, zum Teil war sie von einem alten Friedhof und dieser von einer hohen Mauer umgeben. Nur sehr wenige Jungen hatten diese Mauer schon erklettert, auch K. war es noch nicht gelungen. Nicht Neugier trieb sie dazu, der Friedhof hatte vor ihnen kein Geheimnis mehr, durch seine kleine Gittertür waren sie schon oft hineingekommen, nur die glatte hohe Mauer wollten sie bezwingen. An einem Vormittag – der stille leere Platz war von Licht überflutet, wann hatte K. ihn je, früher oder später, so gesehn? – gelang es ihm überraschend leicht; an einer Stelle wo er schon oft abgewiesen worden war, erkletterte er, eine kleine Fahne zwischen den Zähnen, die Mauer im ersten Anlauf. Noch rieselte Gerölle unter ihm ab, schon war er oben. Er rammte die Fahne ein, der Wind spannte das Tuch, er blickte hinunter und in die Runde, auch über die Schulter hinweg auf die in der Erde versinkenden Kreuze, niemand war jetzt und hier größer als er. Zufällig kam dann der Lehrer vorüber, trieb K. mit einem ärgerlichen Blick hinab, beim Absprung verletzte sich K. am Knie, nur mit Mühe kam er nachhause, aber auf der Mauer war er doch gewesen, das Gefühl dieses Sieges schien ihm damals für ein langes Leben einen Halt zu geben, was nicht ganz töricht gewesen war, denn jetzt nach vielen Jahren in der Schneenacht am Arm des Barnabas kam es ihm zuhilfe.
Er hing sich fester ein, fast zog ihn Barnabas, das Schweigen wurde nicht unterbrochen; von dem Weg wußte K. nur daß sie nach dem Zustand der Straße zu schließen, noch in keine Seitengasse eingebogen waren. Er gelobte sich, durch keine Schwierigkeit des Weges oder gar durch die Sorge um den Rückweg sich vom Weitergehn abhalten zu lassen; um schließlich weitergeschleift werden zu können, würde seine Kraft wohl noch ausreichen. Und konnte denn der Weg unendlich sein? Bei Tag war das Schloß wie ein leichtes Ziel vor ihm gelegen und der Bote kannte gewiß den kürzesten Weg.
Da blieb Barnabas stehn. Wo waren sie? Gieng es nicht mehr weiter? Würde Barnabas K. verabschieden? Es würde ihm nicht gelingen. K. hielt des Barnabas Arm fest, daß es fast ihn selbst schmerzte. Oder sollte das Unglaubliche geschehen sein und sie waren schon im Schloß oder vor seinen Toren? Aber sie waren ja soweit es K. wußte gar nicht gestiegen. Oder hatte ihn Barnabas einen so unmerklich ansteigenden Weg geführt? »Wo sind wir?« fragte K. leise, mehr sich als ihn. »Zuhause«, sagte Barnabas ebenso. »Zuhause?« »Jetzt aber gib acht, Herr, daß Du nicht ausgleitest. Der Weg geht abwärts.« Abwärts? »Es sind nur paar Schritte«, fügte er hinzu und schon klopfte er an eine Tür.
Ein Mädchen öffnete, sie standen an der Schwelle einer großen Stube fast im Finstern, denn nur über einem Tisch links im Hintergrunde hing eine winzige Öllampe. »Wer kommt mit Dir, Barnabas?« fragte das Mädchen. »Der Landvermesser«, sagte er. »Der Landvermesser«, wiederholte das Mädchen lauter zum Tisch hin. Daraufhin erhoben sich dort zwei alte Leute, Mann und Frau, und noch ein Mädchen. Man begrüßte K. Barnabas stellte ihm alle vor, es
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