Das Schloß
ganzen Tag gezögert in des Barnabas Wohnung nachfragen zu gehn; um ihn nicht vor Frieda empfangen zu müssen, hatte K. jetzt hier draußen gearbeitet und war nach der Arbeit noch hier geblieben in Erwartung des Barnabas, aber Barnabas kam nicht. Nun blieb nichts anderes übrig, als zu den Schwestern zu gehn, nur für ein kleines Weilchen, nur von der Schwelle aus wollte er fragen, bald würde er wieder zurück sein. Und er rammte die Schaufel in den Schnee ein und lief. Atemlos kam er beim Haus der Barnabas an, riß nach kurzem Klopfen die Tür auf und fragte, ohne darauf zu achten wie es in der Stube aussah: »Ist Barnabas noch immer nicht gekommen?« Erst jetzt bemerkte er, daß Olga nicht da war, die beiden Alten wieder bei dem weit entfernten Tisch in einem Dämmerzustand saßen, sich noch nicht klar gemacht hatten was bei der Tür geschehen war und erst langsam die Gesichter hinwendeten, und daß schließlich Amalia unter Decken auf der Ofenbank lag und im ersten Schrecken über K.’s Erscheinen aufgefahren war und die Hand an die Stirn hielt, um sich zu fassen. Wäre Olga hier gewesen, hätte sie gleich geantwortet und K. hätte wieder fortgehn können, so mußte er wenigstens die paar Schritte zu Amalia machen, ihr die Hand reichen, die sie schweigend drückte, und sie bitten, die aufgescheuchten Eltern von irgendwelchen Wanderungen abzuhalten, was sie auch mit paar Worten tat. K. erfuhr, daß Olga im Hof Holz hackte, Amalia erschöpft – sie nannte keinen Grund – vor kurzem sich hatte niederlegen müssen und Barnabas zwar noch nicht gekommen war, aber sehr bald kommen mußte, denn über Nacht blieb er nie im Schloß. K. dankte für die Auskunft, er konnte nun wieder gehn, Amalia aber fragte, ob er nicht noch auf Olga warten wolle, aber er hatte leider keine Zeit mehr, dann fragte Amalia, ob er denn schon heute mit Olga gesprochen habe, er verneinte es erstaunt und fragte ob ihm Olga etwas besonderes mitteilen wollte, Amalia verzog wie in leichtem Ärger den Mund, nickte K. schweigend zu, es war deutlich eine Verabschiedung, und legte sich wieder zurück. Aus der Ruhelage musterte sie ihn, so als wundere sie sich, daß er noch da sei. Ihr Blick war kalt, klar, unbeweglich wie immer, er war nicht geradezu auf das gerichtet, was sie beobachtete, sondern ging – das war störend – ein wenig, kaum merklich, aber zweifellos daran vorbei, es schien nicht Schwäche zu sein, nicht Verlegenheit, nicht Unehrlichkeit, die das verursachte, sondern ein fortwährendes, jedem andern Gefühl überlegenes Verlangen nach Einsamkeit, das vielleicht ihr selbst nur auf diese Weise zu Bewußtsein kam. K. glaubte sich zu erinnern, daß dieser Blick schon am ersten Abend ihn beschäftigt hatte, ja daß wahrscheinlich der ganze häßliche Eindruck, den diese Familie auf ihn gleich gemacht hatte, auf diesen Blick zurückging, der für sich selbst nicht häßlich war sondern stolz und in seiner Verschlossenheit aufrichtig. »Du bist immer so traurig, Amalia«, sagte K., »quält Dich etwas? Kannst Du es nicht sagen? Ich habe ein Landmädchen wie Dich noch nicht gesehn. Erst heute, erst jetzt ist es mir eigentlich aufgefallen. Stammst Du hier aus dem Dorf? Bist Du hier geboren?« Amalia bejahte es so, als habe K. nur die letzte Frage gestellt, dann sagte sie: »Du wirst also doch auf Olga warten?« »Ich weiß nicht warum Du immerfort das Gleiche fragst«, sagte K., »ich kann nicht länger bleiben, weil zuhause meine Braut wartet.« Amalia stützte sich auf den Elbogen, sie wußte von keiner Braut. K. nannte den Namen, Amalia kannte sie nicht. Sie fragte ob Olga von der Verlobung wisse, K. glaubte es wohl, Olga habe ihn ja mit Frieda gesehn, auch verbreiten sich im Dorf solche Nachrichten schnell. Amalia versicherte ihm aber, daß Olga es nicht wisse und daß es sie sehr unglücklich machen werde, denn sie scheine K. zu lieben. Offen habe sie davon nicht gesprochen, denn sie sei sehr zurückhaltend, aber Liebe verrate sich ja unwillkürlich. K. war überzeugt, daß sich Amalia irre. Amalia lächelte und dieses Lächeln, trotzdem es traurig war, erhellte das düster zusammengezogene Gesicht, machte die Stummheit sprechend, machte die Fremdheit vertraut, war die Preisgabe eines Geheimnisses, die Preisgabe eines bisher behüteten Besitzes, der zwar wieder zurückgenommen werden konnte, aber niemals mehr ganz. Amalia sagte, sie irre sich gewiß nicht, ja sie wisse noch mehr, sie wisse daß auch K. Zuneigung zu Olga habe und
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