Das Schloß
Deines Bruders, so doch die Bedeutung, die er für mich hat, herabsetzest. Vielleicht bist Du in die Angelegenheiten des Barnabas nicht eingeweiht, dann ist es gut und ich will die Sache auf sich beruhn lassen, vielleicht aber bist Du eingeweiht – und ich habe eher diesen Eindruck – dann ist es schlimm, denn das würde bedeuten, daß mich Dein Bruder täuscht.« »Sei ruhig«, sagte Amalia, »ich bin nicht eingeweiht, nichts könnte mich dazu bewegen, mich einweihen zu lassen, nichts könnte mich dazu bewegen, nicht einmal die Rücksicht auf Dich, für den ich doch manches täte, denn wie Du sagtest gutmütig sind wir. Aber die Angelegenheiten meines Bruders gehören ihm an, ich weiß nichts von ihnen, als das was ich gegen meinen Willen zufällig hie und da davon höre. Dagegen kann Dir Olga volle Auskunft geben, denn sie ist seine Vertraute.« Und Amalia ging fort, zuerst zu den Eltern mit denen sie flüsterte, dann in die Küche; sie war ohne Abschied von K. fortgegangen, so als wisse sie er werde noch lange bleiben und es sei kein Abschied nötig.
16
K. blieb mit etwas erstauntem Gesicht zurück, Olga lachte über ihn, zog ihn zur Ofenbank, sie schien wirklich glücklich zu sein darüber, daß sie jetzt mit ihm allein hier sitzen konnte, aber es war ein friedliches Glück, von Eifersucht war es gewiß nicht getrübt. Und gerade dieses Fernsein von Eifersucht und daher auch von jeglicher Strenge tat K. wohl, gern sah er in diese blauen, nicht lockenden, nicht herrischen, sondern schüchtern ruhenden, schüchtern standhaltenden Augen. Es war als hätten ihn für alles dieses hier die Warnungen Friedas und der Wirtin nicht empfänglicher, aber aufmerksamer und findiger gemacht. Und er lachte mit Olga, als diese sich wunderte, warum er gerade Amalia gutmütig genannt habe, Amalia sei mancherlei, nur gutmütig sei sie eigentlich nicht. Worauf K. erklärte, das Lob habe natürlich ihr, Olga gegolten, aber Amalia sei so herrisch, daß sie sich nicht nur alles aneigne, was in ihrer Gegenwart gesprochen werde, sondern daß man ihr auch freiwillig alles zuteile. »Das ist wahr«, sagte Olga ernster werdend, »wahrer als Du glaubst. Amalia ist jünger als ich, jünger auch als Barnabas, aber sie ist es, die in der Familie entscheidet, im Guten und im Bösen, freilich, sie trägt es auch mehr als alle, das Gute wie das Böse.« K. hielt das für übertrieben, eben hatte doch Amalia gesagt, daß sie sich um des Bruders Angelegenheiten z.B. nicht kümmere, Olga dagegen alles darüber wisse. »Wie soll ich es erklären?« sagte Olga, »Amalia kümmert sich weder um Barnabas noch um mich, sie kümmert sich eigentlich um niemanden außer um die Eltern, sie pflegt sie Tag und Nacht, jetzt hat sie wieder nach ihren Wünschen gefragt und ist in die Küche für sie kochen gegangen, hat sich ihretwegen überwunden, aufzustehn, denn sie ist schon unwohl seit Mittag und lag hier auf der Bank. Aber trotzdem sie sich nicht um uns kümmert, sind wir von ihr abhängig, so wie wenn sie die Älteste wäre, und wenn sie uns in unsern Dingen raten würde, würden wir ihr gewiß folgen, aber sie tut es nicht, wir sind ihr fremd. Du hast doch viel Menschenerfahrung, Du kommst aus der Fremde, scheint sie Dir nicht auch besonders klug?« »Besonders unglücklich scheint sie mir«, sagte K., »aber wie stimmt es mit Euerem Respekt vor ihr überein, daß z.B. Barnabas diese Botendienste tut, die Amalia mißbilligt, vielleicht sogar mißachtet.« »Wenn er wüßte, was er sonst tun sollte, er würde den Botendienst, der ihn gar nicht befriedigt, sofort verlassen.« »Ist er denn nicht ausgelernter Schuster?« fragte K. »Gewiß«, sagte Olga, »er arbeitet ja auch nebenbei für Brunswick und hätte wenn er wollte Tag und Nacht Arbeit und reichlichen Verdienst.« »Nun also«, sagte K., »dann hätte er doch einen Ersatz für den Botendienst.« »Für den Botendienst?« fragte Olga erstaunt, »hat er ihn denn des Verdienens halber übernommen?« »Mag sein«, sagte K., »aber Du erwähntest doch, daß er ihn nicht befriedigt.« »Er befriedigt ihn nicht und aus verschiedenen Gründen«, sagte Olga, »aber es ist doch Schloßdienst, immerhin eine Art Schloßdienst, so sollte man wenigstens glauben.« »Wie?« sagte K. »sogar darin seid Ihr im Zweifel?« »Nun«, sagte Olga, »eigentlich nicht, Barnabas geht in die Kanzleien, verkehrt mit den Dienern wie ihresgleichen, sieht von der Ferne auch einzelne Beamte, bekommt verhältnismäßig wichtige
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