Das Schloß
sichtlich sind sie für mich, wenn auch vielleicht nicht für meinen Nutzen bestimmt, sind wie der Gemeindevorsteher und seine Frau bezeugt haben, von Klamm eigenhändig gefertigt und haben, wiederum nach dem Gemeindevorsteher, zwar nur eine private und wenig durchsichtige, aber doch eine große Bedeutung.« »Sagte das der Gemeindevorsteher?« fragte Olga. »Ja, das sagte er«, antwortete K. »Ich werde es Barnabas erzählen«, sagte Olga schnell, »das wird ihn sehr aufmuntern.« »Er braucht aber nicht Aufmunterung«, sagte K., »ihn aufmuntern, bedeutet, ihm zu sagen, daß er recht hat, daß er nur in seiner bisherigen Art fortfahren soll, aber eben auf diese Art wird er niemals etwas erreichen, Du kannst jemanden, der die Augen verbunden hat noch so sehr aufmuntern, durch das Tuch zu starren, er wird doch niemals etwas sehn; erst wenn man ihm das Tuch abnimmt, kann er sehn. Hilfe braucht Barnabas, nicht Aufmunterung. Bedenke doch nur, dort oben ist die Behörde in ihrer unentwirrbaren Größe – ich glaubte annähernde Vorstellungen von ihr zu haben, ehe ich hierherkam, wie kindlich war das alles – dort also ist die Behörde und ihr tritt Barnabas entgegen, niemand sonst, nur er, erbarmungswürdig allein, zuviel Ehre noch für ihn, wenn er nicht sein Leben lang verschollen in einen dunklen Winkel der Kanzleien gedrückt bleibt.« »Glaube nicht, K.«, sagte Olga, »daß wir die Schwere der Aufgabe, die Barnabas übernommen hat, unterschätzen. An Ehrfurcht vor der Behörde fehlt es uns ja nicht, das hast Du selbst gesagt.« »Aber es ist irregeleitete Ehrfurcht«, sagte K., »Ehrfurcht am unrechten Ort, solche Ehrfurcht entwürdigt ihren Gegenstand. Ist es noch Ehrfurcht zu nennen, wenn Barnabas das Geschenk des Eintritts in jenen Raum dazu mißbraucht, um untätig dort die Tage zu verbringen oder wenn er herabkommt und diejenigen, vor denen er eben gezittert hat, verdächtigt und verkleinert oder wenn er aus Verzweiflung oder Müdigkeit Briefe nicht gleich austrägt und ihm anvertraute Botschaften nicht gleich ausrichtet? Das ist doch wohl keine Ehrfurcht mehr. Aber der Vorwurf geht noch weiter, geht auch gegen Dich, Olga, ich kann Dir ihn nicht ersparen, Du hast Barnabas, trotzdem Du Ehrfurcht vor der Behörde zu haben glaubst, in aller seiner Jugend und Schwäche und Verlassenheit ins Schloß geschickt oder wenigstens nicht zurückgehalten.«
»Den Vorwurf, den Du mir machst«, sagte Olga, »mache ich mir auch, seit jeher schon. Allerdings nicht daß ich Barnabas ins Schloß geschickt habe, ist mir vorzuwerfen, ich habe ihn nicht geschickt, er ist selbst gegangen, aber ich hätte ihn wohl mit allen Mitteln, mit Überredung, mit List, mit Gewalt zurückhalten sollen. Ich hätte ihn zurückhalten sollen aber wenn heute jener Tag, jener Entscheidungstag wäre und ich die Not des Barnabas, die Not unserer Familie so fühlen würde wie damals und heute und wenn Barnabas wieder, aller Verantwortung und Gefahr deutlich sich bewußt, lächelnd und sanft sich von mir losmachen würde, um zu gehn, ich würde ihn auch heute nicht zurückhalten, trotz aller Erfahrungen der Zwischenzeit und ich glaube, auch Du an meiner Stelle könntest nicht anders. Du kennst nicht unsere Not, deshalb tust Du uns, vor allem aber Barnabas Unrecht. Wir hatten damals mehr Hoffnung als heute, aber groß war unsere Hoffnung auch damals nicht, groß war nur unsere Not und ist es geblieben. Hat Dir denn Frieda nichts über uns erzählt?« »Nur Andeutungen«, sagte K., »nichts Bestimmtes, aber schon Euer Name erregt sie.« »Und auch die Wirtin hat nichts erzählt?« »Nein, nichts.« »Und auch sonst niemand?« »Niemand.« »Natürlich, wie könnte jemand etwas erzählen! Jeder weiß etwas über uns, entweder die Wahrheit, soweit sie den Leuten zugänglich ist, oder wenigstens irgendein übernommenes oder meist selbsterfundenes Gerücht, und jeder denkt an uns mehr als nötig ist, aber geradezu erzählen wird es niemand, diese Dinge in den Mund zu nehmen scheuen sie sich. Und sie haben recht darin. Es ist schwer es hervorzubringen, selbst Dir gegenüber, K., und ist es denn nicht auch möglich, daß Du, wenn Du es angehört hast, weggehst und nichts mehr von uns wirst wissen wollen, so wenig es Dich auch zu betreffen scheint. Dann haben wir Dich verloren, der Du mir jetzt, ich gestehe es, fast mehr bedeutest als der bisherige Schloßdienst des Barnabas. Und doch – dieser Widerspruch quält mich schon den ganzen Abend – mußt Du
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