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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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betonte sie stets, den Interessen der Babys wäre am besten gedient, wenn die Mütter gut behandelt wurden.
    Raymond spendete eine der größten Summen. Es geschah ohne großes Getue, und es schien sich auch keine geheime Bedeutung oder Botschaft dahinter zu verbergen. Er kam einfach eines Abends aus Alans Büro und reichte ihr den Scheck. Er hielte ihr Projekt für förderungswürdig, sagte er. Und was sollte er sonst mit dem Geld anfangen? Schließlich hatte er keine Kinder.
    »Danke«, sagte sie oder versuchte es wenigstens – es hatte ihr vorübergehend die Sprache verschlagen. Dass sich ihr Gesicht rötete, überraschte sie beide, und dann konnte Cora einfach nicht anders, als die Arme um seine breiten Schultern zu legen und ihn an sich zu ziehen, seinen frischen, sauberen Duft nach Seife einzuatmen. Er war sichtlich betroffen, und ein paar Sekunden stand er wie erstarrt und ließ die Arme hängen. Sie ließ ihn nicht los. Unter ihren Händen, unter den Stoffschichten von Raymonds Anzug und Weste, befanden sich dieselben sommersprossigen Schultern, die sie an jenem grauenhaften Tag gesehen hatte, an dem sie dachte, dass ihr Leben vorbei war – und als sie sicher war, dass dieser anständige, geliebte Mann ihr Feind war.
    Sie war froh und dankbar, dass das Leben lang sein konnte.
    An einem milden Wintertag im Jahr 1937 ging Cora in die Stadt, um im Innes Department Store Weihnachtseinkäufe zu erledigen, und Greta, die die Ferien zu Hause verbrachte, begleitete sie. Cora war froh über die Hilfe, weil sie immer noch Geschenke für Howard und Earle und auch für ihre Ehefrauen und Howards zwei kleine Kinder brauchte, die Heiligabend alle bei ihnen sein würden. Die ganze letzte Woche hatte Cora Betten gemacht und Vorhänge ausgeklopft und sogar unförmige und leicht angebrannte Lebkuchenmänner gebacken. Außerdem hatte sie für jeden Bewohner im Haus der Güte zwei Paar warme, weiche Socken gekauft und für Greta einen Lippenstift, der ihr gefiel, und eine große Flasche Chanel N° 5. Für Joseph hatte sie einen schönen Anzug gefunden, weil ihr inzwischen klar war, dass er sich selbst nie einen kaufen würde, und für Alan und Raymond aufeinander abgestimmte Krawatten.
    »Greta? Glaubst du, Howards Jungs würden sich über ein Ziehspielzeug freuen?« Cora zog einen winzigen Wagen über ein Regal und ließ dabei Micky Maus, den einzigen Passagier, wild auf eine Trommel schlagen. »Walter ist jetzt vier. Ist er damit zu alt für so etwas?«
    Als Greta nicht antwortete, blickte Cora auf, und genau in diesem Moment bimmelte die Glocke an der Eingangstür und Myra Brooks kam herein. Sie trug ein schwarzes Barett und einen langen schwarzen Mantel mit Pelzbesatz am Kragen. Sie sah sehr blass aus, vielleicht wegen ihres tiefroten Lippenstiftes. Aber sie war es, hohlwangig und über ein Jahrzehnt älter als bei ihrer letzten Begegnung. Ihre Blicke kreuzten sich einen Moment lang, ehe Myra den Kopf wandte. Als sie den Mittelgang hinunterging, sagte Cora nichts. Möglicherweise hatte Myra sie nicht erkannt. So viele Jahre waren vergangen, und Coras Haare waren inzwischen grau durchsetzt. Aber wahrscheinlicher schien, dass Myra einfach nicht reden wollte – nicht mit Cora und auch mit sonst niemandem. Cora, die immer noch das Spielzeug hielt, war entschlossen, sie einfach vorbeigehen zu lassen.
    Aber gerade als Myra die Spielzeugabteilung hinter sich hatte, blieb sie stehen. Selbst mit Absätzen wirkte sie klein, eingeschrumpft. Ihre Schultern hoben und senkten sich zweimal, bevor sie sich umdrehte.
    »Hallo, Cora.«
    »Hallo, Myra.« Cora versuchte, ihre Überraschung mit einem Lächeln zu überspielen. »Wie geht es Ihnen?«
    Myra schien die Frage zu amüsieren. »Nun«, sagte sie schließlich, »ich bin hier.«
    Cora wusste nicht, was sie sagen sollte. Myras Stimme und Gesichtsausdruck waren so resigniert, dass eine muntere Antwort deplatziert gewirkt hätte. Und nun, da sie dicht vor ihr stand, konnte Cora sehen, dass sie wirklich elend aussah. Ihr schönes Gesicht war hager, ihr Hals unter dem Pelzkragen dünn. Sie starrte Cora an, als ob sie auf etwas wartete, bis Cora verlegen den Blick abwandte. Greta, die in der Damenabteilung Modeartikel begutachtete, lächelte Cora zu und zeigte auf den roten Strickschal, den sie umgelegt hatte. Cora nickte beifällig.
    Myra wirkte irritiert.
    »Tut mir leid«, sagte Cora. »Das da drüben ist meine Nichte. Sie hat gerade Ferien. Ich glaube, Sie kennen sie nicht?«
    »Mhm.«

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