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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Mutter von vier Kindern gewesen wäre. Wäre sie jetzt eine berühmte Musikerin? Ein netterer Mensch? Glücklich? Eine Inspiration für andere?
    »Es tut mir leid«, sagte Cora, die es selbst überraschte, wie aufrichtig sie es meinte. »Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll.«
    Auch Myra wirkte erstaunt. Sie sah Cora an und nickte. »Danke«, sagte sie. »Das ist sehr nett von Ihnen.«
    »Aber grüßen Sie bitte Louise von mir, wenn Sie mit ihr sprechen. Sagen Sie ihr, dass ich ihr alles Gute wünsche.«
    Myra erwiderte nichts, obwohl sich ihre roten Lippen fast zu einem Lächeln verzogen, und warf Cora einen belustigten Blick zu. Später sollte Cora sich fragen, ob Myra ihre Tochter schon damals besser als irgendjemand sonst kannte. Denn es war Myra, die bei all ihren Mängeln als Mutter vor allen anderen zu wissen schien, dass Coras gute Wünsche vergeblich waren.

20
    Die Gründe, warum Wichita die Verträge mit dem Verteidungsministerium bekam, lagen auf der Hand: Mehrere Unternehmen produzierten bereits seit Jahren Flugzeuge, und die Stadt lag mitten im Landesinneren, in sicherer Entfernung von feindlichen Angriffen. Noch dazu hatte die Stadt zufällig, wie oft und gern betont wurde, landesweit den höchsten Anteil an amerikanischen Bürgern im städtischen Raum. Die Volkszählung von 1940 ergab 115 000 Menschen innerhalb der Stadtgrenzen, von denen über neunzig Prozent amerikanische Staatsbürger waren. Wichitas gesamter Bevölkerungsanteil an Ausländern belief sich auf 123 Syrer, 170 Russen, 173 Kanadier, 272 Mexikaner und 317 Deutsche – Joseph nicht eingerechnet, der lange bevor er während des Ersten Weltkrieges in Georgia interniert wurde, eingebürgert worden war. In diesem Krieg hatte er mehr Glück, da sein Gehalt verdoppelt wurde, als Stearman den Zuschlag für die B-17 bekam. Ab 1941 hieß Stearman Boeing-Wichita und fing an, fünfzig Leute pro Tag einzustellen. Das Unternehmen sollte bald mit der Arbeit an der neuen B-29 beginnen, aber Joseph hielt sich an die Verschwiegenheitsklausel in seinem Vertrag und sprach mit niemandem über den neuen Bomber, nicht einmal mit Cora, bis die neue Waffe gegen Japan offiziell der Presse vorgestellt wurde.
    Inzwischen war aus Wichita eine andere Stadt geworden. In nur zwei Jahren war sie doppelt so groß geworden und die Bevölkerung durch den Zuzug neu angelernter Flugzeugmechaniker deutlich angestiegen, alles Menschen, die Nahrung, Kleidung und Wohnraum brauchten. Die Stadtverwaltung musste die Ampelschaltungen ändern, damit die größere Anzahl von Fußgängern die Straßen überqueren konnte. Es gab Verkehrsstaus und lange Schlangen im Postamt, und selbst als Cora die erforderlichen Lebensmittelkarten bekam, dauerten die Einkäufe auf dem Markt doppelt so lange wie früher. Auf den Straßen lag Müll, weil die städtischen Angestellten überlastet waren, und es war praktisch unmöglich, mitten am Tag einen Anruf zu tätigen. Trotzdem wehte ein frischer Wind durch die Stadt, schien ein Gefühl von Zusammengehörigkeit in der Luft zu liegen. Allen Bewohnern, Alteingesessenen wie Neuzugängen, war klar, dass sie ein großes, gemeinsames Ziel einte: Jederzeit, am Tag oder in der Nacht, konnten die neuen Bomber von Boeing in korrekten Viererformationen über den Himmel donnern.
    Cora hatte genug zu tun. Die Zahl lediger Mütter stieg gleichzeitig mit der Bevölkerung, aber in der Stadt war reichlich Geld im Umlauf, und sie war fest entschlossen, einiges davon einem guten Zweck zuzuführen. Sie sammelte genug Spenden für einen neuen Anbau am Haus der Güte, und schon eine Woche nach Fertigstellung war jedes Zimmer im neuen Flügel belegt. Die meisten Frauen und Mädchen konnten traurige Geschichten über Verlobte, die im Krieg gefallen waren, erzählen. Cora hatte den Verdacht, dass einige davon erfunden waren und die Frauen damit rechneten, dass vorehelicher Geschlechtsverkehr weniger streng beurteilt wurde, wenn er patriotische Motive hatte. Auf jeden Fall nickte sie und hörte sich die Geschichten an und tröstete die Frauen. Manche sagten vielleicht sogar die Wahrheit. In vielen Fenstern waren Flaggen mit blauen Sternen und einige mit den erschütternden goldenen Sternen zu sehen. Trudy Thomas’ Sohn war in Nordafrika ums Leben gekommen, und Winnifred Fitchs Neffe wurde immer noch auf den Philippinen vermisst. Nicht ein Tag verging, an dem Cora nicht daran dachte, wie viel Glück sie hatte – Howard praktizierte immer noch als Anwalt in Houston und

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