Das Schmetterlingsmädchen - Roman
war ein gewaltiger viktorianischer Bau mit Giebeln und mehreren Veranden und lag auf einem großen Grundstück am Stadtrand.
» Haus der Barmherzigkeit klingt wie Dickens«, sagte Cora. Wie The New York Home for Friendless Girls. Wie Heim für gefallene Mädchen.
»Wie wäre es mit Haus Monica? «, fragte der jüngere Arzt. »Nach der heiligen Monica. Sie war auch eine Mutter.«
»Zu katholisch«, sagte der ältere Arzt. »Tut mir leid.«
Der jüngere Arzt war katholisch.
»Wie wäre es mit Haus der Güte?«, fragte Cora.
Die Doktoren runzelten die Stirn.
»Das ist ein bisschen …« Der ältere der beiden schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, das klingt ein bisschen sentimental.«
»Güte ist nicht sentimental«, sagte Cora. »Erbarmen ist sentimental. Güte nicht.«
Sie sah von einem zum anderen. Beide waren nett. Keiner von ihnen war sentimental. »Ich dachte nur, dass dieses Konzept das Fundament unserer Mission sein sollte. Unser Leitmotiv.«
»Welches Konzept?«
Beide sahen sie erwartungsvoll an. Sie suchte nach den richtigen Worten. Es gab nur eine Möglichkeit, es auszudrücken. »Nun, dass … Mitgefühl die Grundlage aller Moral ist.«
Der jüngere Arzt lächelte. »Sie kennen Schopenhauer, Cora?«
»Ein wenig.« Sie erwiderte sein Lächeln. »Er hat oft recht, nicht wahr? Aber Haus des Mitgefühles … ich weiß nicht.«
Der Ältere schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, damit verlangen wir zu viel von den Leuten hier. Nein. Das geht nicht.«
Es war Schwerstarbeit, Gelder für das Haus der Güte zu beschaffen, vor allem in jenen frühen, mageren Jahren. Viele Leute spendeten gern für eine gute Sache, und wie manche, die Coras Bitte abschlugen, ihr mitteilten, stand sie im Wettstreit mit wohltätigen Zwecken, deren Erlös völlig unschuldigen Kindern zugutekam, die nichts getan hatten, um ein so trauriges Los zu erleiden. Ledige Mütter, sagte eine Frau im Club zu Cora, hätten ihr Schicksal selbst besiegelt. »Die Babys tun mir leid«, sagte sie. »Aber die Mädchen haben freiwillig die Beine breit gemacht.«
»Einige bestimmt«, war alles, was Cora dazu sagte. Mit Unhöflichkeit war nichts zu gewinnen. Aber es tat weh, zu hören, wenn auf diese Weise über die jungen Mütter gesprochen wurde, vor allem nachdem sie einige von ihnen kennengelernt hatte. Sie und die beiden Ärzte hatten zusammen mit einer Haushälterin auch eine Lehrerin und eine Pflegeschwester, die im Heim wohnte, eingestellt. Mit der direkten Führung des Heimes hatte Cora nichts zu tun, aber sie kam oft vorbei, um nachzusehen, ob irgendetwas gebraucht wurde, und obwohl ein paar der Bewohnerinnen in ihr nur eine Frau mittleren Alters mit Hut und Handschuhen sahen, mit der sie nichts zu tun haben wollten, schienen andere sich zu freuen, dass jemand sie freundlich anlächelte und sich nach ihrem Befinden erkundigte. Es gab Mädchen, die erst dreizehn waren, ebenso wie Frauen in den Dreißigern. Einige waren unverkennbar aus gutem Haus. Einige klangen sogar gebildeter als Cora, obwohl das Mädchen, das am intelligentesten wirkte – eine ehemalige Collegestudentin –, gestand, auf die Lysol-Werbung hereingefallen zu sein. Manche Bewohnerinnen stammten aus Wichita, andere aus kleineren, von der Dürre heimgesuchten Städten, und eine kam aus Oklahoma City. Ob sie nun Einheimische waren oder nicht, in die Stadt konnten sie nicht gehen, jedenfalls nicht, sobald ihre Schwangerschaft sichtbar wurde. Cora besorgte gern die eine oder andere Kleinigkeit für sie – Schokolade, Bürsten, Bücher. Ein Mädchen, das im sechsten Monat war, bat um einen Teddybären.
Aber in erster Linie bestand Coras Aufgabe darin, Gelder aufzutreiben, und wie sich herausstellte, konnte sie das sehr gut. Sie hatte im Lauf der Jahre für viele wohltätige Zwecke Spenden gesammelt, aber jetzt fühlte sie sich, vielleicht weil ihr Anliegen auf so wenig Gegenliebe stieß, inspirierter und entschlossener als je zuvor. Sie lernte, Fördermittel von Staat und Bundesbehörden zu beantragen. Sie veranstaltete sorgfältig geplante Mittagessen und Kaffeekränzchen. Sie ging mit Alan auf Partys und bearbeitete seine Kollegen, und dasselbe machte sie, wenn sie einen ihrer Söhne besuchte. Sie war eine gewandte Rednerin. Sie konnte sowohl höflich als auch überzeugend sein. Sie lernte, mehr über die Babys zu erzählen, als über ihre Mütter. Ja, antwortete sie immer wieder, die meisten Mütter wären bereit, ihre Kinder zur Adoption freizugeben. Wie auch immer,
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